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Okt, Nov 18

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Künstlerin: Isabella Hollauf

Die Ausstellung Uneven zeigt eine Konstellation fotografischer und filmischer Arbeiten der österreichischen Künstlerin Isabella Hollauf. Die vordergründig dokumentarisch anmutenden filmischen und fotografischen Aufnahmen von zumeist aufgelassenen Erholungs- und Erlebnisorten konfrontieren den Betrachter mit Bildern der Absenz.  Eine durchgängige Figur der konzeptuell-poetischen Fotografien Hollaufs bilden seit mehreren Jahren verwaiste Badeanstalten. Die dokumentarische Anmutung der Bilder täuscht jedoch. Die Künstlerin zielt nicht auf eine verobjektivierende Bildsprache, die sich aus souveräner Distanz zum Gesehenen artikuliert. Hollauf sucht vielmehr jene aufgelassenen Badeanstalten und Schwimmareale auf, um sie zu „begehen“, um sie in Beziehung zum eigenen Körper zu setzen.

Hollauf rekurriert in ihrer ästhetischen Praxis auf die eigene unmittelbare Wahrnehmung vor Ort. Raum oder Ort bilden also keine externen Größen, die begangen, betrachtet und angeeignet werden können. Sie stehen vielmehr in einem osmotischen Verhältnis zum „Ort“ des eigenen Körpers. Parameter dieser dezidiert kinästhetisch fundierten Wahrnehmung sind Standpunkt, also eigene Perspektive, und in gleichem Maße auch der sich bewegende Körper und damit die sich in Resonanz zur Umgebung verändernde Wahrnehmung. Der Körper ist somit weniger Zentrum als grundlegendes Medium der Wahrnehmung. Wie in den Fotoserien und mehr noch im Film Aquarena thematisiert, adressieren Badeanstalten per Definition den Körper selbst. Sie sind aber nicht bloß Orte und Institutionen, die die Körper choreographieren, formen und prägen, sondern stets auch Orte des Vergnügens und damit libidinös besetzt.

Die vierteilige Fotoserie Heusweilerbad (2016) präsentiert sich dem Betrachter in vier unterschiedlichen Bildgrößen. Einer vertikal von der Wand hängenden Fotobahn sind drei querformatige Fotografien an der Längswand des Ausstellungsraums beiseitegestellt. Obschon sich das Gefüge aus frei mit Klemmen an der Wand montierten Fotografien dem Betrachter als Zusammenhängendes, aufeinander Verweisendes zu erkennen gibt, ist man herausgefordert, die unterschiedlichen Bildformate und -größen aktiv in Beziehung zu setzen. Die Künstlerin gibt dem Betrachter also nicht einfach einen Ort, realiter ein aufgelassenes Schwimmareal zu sehen, sondern ringt ihm eine Art Bildlektüre ab. Die Bilder zeigen dabei im einzelnen bloß Unvollständiges, fragmentarische Ansichten des Ortes. Doch ebenso, noch viel entscheidender, vollzieht der Betrachter durch die vorgegebene Bildfolge eine bestimmte Choreographie des Blicks nach. Von links nach rechts gelesen werden die Bilder nicht bloß kleiner, sodass sich der Eindruck schwindender Wahrnehmung, des Entgleitens des Gesehenen, einstellt. Während die erste vertikale Bildbahn der Serie eine Art Totale mit einem Sprungturm zeigt, das aus einem verwahrlosten Schwimmbecken zwischen überwucherndem Grün herausragt, schwenkt der Blick schon im zweiten Bild der Serie
in den Nahbereich der Kamera. Der Blick bewegt sich nach unten, Richtung Boden, und zeigt in der Folge nur
noch Ausschnitthaftes. Im dritten und vierten Bild wird zudem das Bildformat sukzessive kleiner, als würde
dem Betrachter der Nahbereich der Betrachtung, die unmittelbar kinästhetische Erfahrung des Ortes wieder entgleiten oder entzogen.

Bei Hollauf geht es auf diskrete Weise auch stets um Autorität, genauer gesagt um die Infragestellung von Autorität und der Souveränität des Blicks. Ihren Arbeiten ist ein Moment des Zögerns und Scheiterns inhärent, das sich gegen die Vereinnahmung und Aneignung von Raum (und Ort), aber auch gegen die Selbstgewissheit der eigenen Wahrnehmung sträubt. Ihre Bilder geben konsequenterweise auch keinerlei Kommentar zu jenen Orten, sie lassen sich nicht eindeutig interpretieren und festlegen. Hollaufs Bilder stellen stattdessen unentwegt Fragen an das eigene Sehen und die eigene Wahrnehmungshandlung. Das Bild ist hier Notat, vielleicht sogar eine Art Spur der körperlich-piktoralen Begehungen. Die einzelne Aufnahme, der jeweilige Ausschnitt, zielt dabei freilich nicht auf ein „gelungenes“ Bild. Die Dimension des Zeigens, des Präsentierens und Repräsentierens, ist bei Hollauf in den Hintergrund gedrängt und wird subtil unterwandert. Die Bilder erscheinen beinahe als Nichtbilder und verbergen oftmals mehr, als sie zu sehen geben. Der Betrachter findet sich aufgefordert, die Lücken zwischen den Bildern zu schließen und die räumliche Diegese zu vervollständigen. Diese evokative „Bildleistung“ des Betrachters lässt sich durchaus als eine Art Entsprechung und Analogie zur Erkundung der Orte durch die Künstlerin verstehen. Das Bild gibt hier nicht einfach zu sehen oder zu erkennen, sondern zielt auf eine Modalität der Wahrnehmung, die das Unbestimmte, mehr noch: das Unstimmige und Unregelmäßige favorisiert – daher auch der Titel „uneven“.

Die Praxis des Gehens, jene repetitiven Bewegungen im Begehen unterschiedlicher und doch grundlegend ähnlicher verlassener Orte, bildet eine ästhetisch-prozesshafte Analogie zum Seriellen und Repetitiven, das den schmuckähnlichen Teflonobjekten Flexible Ringe (2001) inhärent ist. Auch hier findet sich eine vermeintliche Wiederholung von Gleichem, eine Aneinanderreihung bei gleichzeitiger Modifikation, etwa der Elemente oder Segmente einer Kette. Hollauf verwendet vorgefertigte dünne, nur wenige Millimeter dicke Streifen aus weißem Teflon. Die einzelnen, beinahe zeichnerisch anmutenden Kreisbänder sind entsprechend der Materialeigenschaften von Teflon fest und doch verformbar. Sie erscheinen schlicht und anmutig, bergen jedoch auch ein spielerisches Moment. Die Variabilität ihrer formalen, ja skulpturalen Erscheinung lässt mehr an frühkindlichen Spieltrieb als an den Prozess bildhauerischer Formfindung denken. Aus einfachen flachen Kreisbahnen werden durch manuelle Verformung komplexe und geradezu anthropomorph wirkende Formen. Die dünnen, verformbaren Kreisbahnen bilden dabei auch ein Scharnier zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, zwischen Zeichnerisch-Flächigem und skulpturalem Raum.

Das Medium des Körpers bildet auch hier einen wesentlichen Bezugspunkt der räumlichen und prozesshaft-ästhetischen Reflexion. Der Körper bildet zugleich Trägermedium und Anwendungsbereich der fast schmuckähnlichen Teflonobjekte. Dabei müsste man hier eigentlich von einer Art Antischmuck sprechen. Denn weder geht es um ästhetisierendes Hervorheben, um Exhibitionistisches, noch um symbolische Codierung oder Aufwertung des Trägers. Die Künstlerin geht vielmehr von einer weiteren radikal skulpturalen Fragestellung aus, vom Moment des Abdichtens oder Abschließens, des Trennen und Isolierens, das sich auch grundlegend in der Materialwahl von Teflon und auch schon in den früheren Objekten aus Dichtungsgummi widerspiegelt. Die Künstlerin verwendet Isoliermaterialien, die nicht sehr tragbar anmuten noch auf Dauer körperlich angenehm zu tragen sind. Isoliermaterial ist ja dazu gemacht, Verbindungen, etwa die zweier Rohre, zu unterbrechen, also zwei „Räume“ systemisch zu trennen. Die „Funktion“ dieses Antischmuckes liegt folglich mehr im Skulptural-Performativen, indem die körperlich-räumliche Resonanz des Trägers auf die Teflonbänder in den Mittelpunkt rückt. Indem der Tragende oder Proband etwas an sich Abweisendes anlegt, wird er subtil dazu gebracht, sich nach dem phänomenologischen und raumontologischen Verhältnis seines eigenen Körpers zu diesen kleinen skulpturalen Gebilden zu fragen. Dabei von Interaktion zu sprechen, wäre übertrieben und banal zugleich. Hollauf schafft stattdessen ein Moment der körperlich-räumlichen Irritation, eine temporäre Stimmigkeit (Tragbarkeit) bei gleichzeitiger Störung und Fremdheit, die in eine gewisse Verunsicherung des Tragenden bzw. Probanden mündet.

Auch in diesen Arbeiten zeigt sich das Spannungsfeld von Zeigen und Verbergen, von Öffentlichem (Sichtbarmachung) und Intimem, das für Hollaufs ästhetische Praxis konstitutiv ist. Die Teflonringe fungieren als eine Art den Körper markierende räumliche Zeichnungen, die ihn exponieren und gleichzeitig partiell um- und einschließen. Die Diaserie Latina Teflon (2001) zeigt die Künstlerin in diesem Sinn mit jenen Teflonobjekten hantierend, sie sozusagen „anprobierend“. Hollaufs Intention ist nicht, jenes Spannungsfeld durchzudeklinieren, es offenzulegen oder semantisch zu erschließen, die Künstlerin zielt vielmehr auf eine Destabilisierung des jeweiligen ästhetisch-räumlichen Status, auf ein Dazwischen, einen Möglichkeitsraum zwischen körperlicher Anwendbarkeit und skulpturaler Eigenpräsenz.

Der Film Aquarena (2007) von Isabella Hollauf und Josef Dabernig mit Musik von Michael Moser lässt sich, nebst einer ortspezifischen und kulturgeschichtlichen Lesart, in hohem Grade als abstrakt-skulpturale Befragung des Mediums Wasser verstehen. Szenisch und nüchtern-dokumentarisch betrachtet, zeigt der Film zwei unterschiedliche Badestätten, die einmal von Hollauf und das andere Mal von Dabernig besucht und jeweils nach einer bestimmten Bewegungschoreographie „durchschwommen“ werden. Der knapp zwanzigminütige Film wird, sozusagen als kulturgeschichtlicher Ankerpunkt, mit der Aufnahme eines Wandbildes des Heiligen Florian eingeleitet. Akustisch und musikalisch ist ein rudimentärer sinustonartiger, ja geradezu signaltonähnlicher Geigenklang zu vernehmen, der alsbald vom Intervall einer kleinen Sekund konterkartiert wird. Eine Sprechstimme beginnt nüchtern Paragraphen einer alten Stadtordnung, genauer: die Bestimmungen der Gewässerordnung zu verlesen. Diese Sprechstimme bildet im weiteren Verlauf des Filmes eine wiederkehrende prosaisch-narrative Figur, sozusagen einen erzählerischen Cantus firmus, der die klangraumevokative Tonspur wesentlich mitstrukturiert. Nach der Eröffnung des Filmes durch eine auditiv-atmosphärische und eine narrative Erzählebene wird der eigentliche Schauplatz der ersten Filmhälfte vorgestellt. In einem befremdlichen, nahezu surrealen Szenario steigt die Protagonistin (Isabella Hollauf) in ein von einstöckigen Wohnhäusern umringtes, gänzlich menschenleeres Schwimmbecken, das die unmittelbare Mitte eines Ortes (Scharndorf in Niederösterreich) bildet. Das fehl am Platz, beinahe filmsetartig installiert wirkende Schwimmbecken wird durch angrenzende Straße und Häuser isoliert und „gerahmt“ zugleich, sodass das Szenario zwischen einer befremdenden Form von Unmittelbarkeit, gar Intimität und Exponiertheit/Öffentlichkeit, wenn auch ohne Beobachter, oszilliert.

Nachdem sich auf akustischer Ebene zu den Geigen ein Cello als widerstreitende Stimme hinzugesellt hat, beginnt die Kamera zunehmend, den Umgebungsraum des deplatziert wirkenden kreisrunden Schwimmbeckens zu untersuchen. Die subtil dissonanten, sich aneinander reibenden Klanglinien und -flächen scheinen das absurde Szenario, das bildsprachlich zwischen Dokumentarischem und Surrealem changiert, teilweise zu kommentieren, zu steigern, aber dann doch das Geschehnis dem Realen zu entrücken und auf eine vorsprachlich-assoziative Ebene zu transkribieren. Schließlich, gegen Ende der ersten Filmhälfte, bricht die Sprechstimme erneut das surreale Bild-Klang-Kontinuum, das bis dahin durchaus eine Analogie zur Kontinuität des Schwimmens formte, und führt den Betrachter in die Umgebung des Ortes: Man sieht mit Windrädern übersäte Felder, eine in der Landschaft abgestellte alte Emailbadewanne usw. Zum Schluss dieser Sequenz, quasi als neuerlicher kulturgeschichtlicher Ankerpunkt, liest der Betrachter einen am Dorfbrunnen angebrachten Gebetsspruch, der die Ehrfurcht der früheren Einwohner vor dem Wasser erahnen lässt. Wasser fungiert hier als Scharnier zwischen unterschiedlichen Konnotationsfeldern sowie -bildern und Erfahrungsmodalitäten. Die Protagonistin durchschwimmt, metaphorisch gedacht, ein polysemes Gefüge, ein Schichtenbild des Mediums Wasser.

Die zweite Filmhälfte ist einem neuen Ort gewidmet, der von einem zweiten Protagonisten (Josef Dabernig) aufgesucht wird. Die Einleitung und musikalische Begleitung wird von einem mehrstimmigen, durchaus figurativen, dann beinahe fugenartigen Zusammenspiel zweier Geigen und eines Cellos gebildet. Der Protagonist durchschwimmt hier das sonst menschenleere Becken einer in die Jahre gekommenen Thermal- und Hotelanlage in Rumänien. Auch diese Filmhälfte wird von verlesenen Paragraphen der Badeanstaltsordnung – diesmal sind es Anweisungen bezüglich Lärmprävention und Luftverunreinigung – begleitet und immer wieder unterbrochen. In Analogie zur ersten Filmhälfte durchschwimmt der Protagonist das Becken. Die musikalische Raumevokation wird hier durch die diskret-verhaltene Gestik der Streicher (Flageolett-Töne und Pizzicati) latent ausdruckshaltiger aber auch unruhiger, beklemmender und dramatischer. Bilder von der Natur überwucherter, geradezu wiedereroberter Areale lassen Ort und Handlungsverlauf unwirklich erscheinen. Das Dokumentarische der Aufnahmen weicht schließlich, beinahe gänzlich überformt und umsemantisiert vom Wechselspiel aus Bildsyntax, gebrochener Erzählstruktur und musikalischer Raumevokation, einem projektiven Ort, der zwischen Archetypus, Realem und Erinnerungsort changiert.

Sehen bedeutet auch im Film Aquarena weniger Beobachten und Erkennen von Gegebenem. Wie in Heusweilerbad erbringt der Blick auch hier sukzessive eine Ergänzungsleistung und sieht unter stetiger Mithilfe imaginärer sowie erinnerter Anteile. Die Zeitlichkeit der Wahrnehmung spielt dabei eine grundlegende Rolle. Die Aufladung des Gesehenen und der Rückgriff auf Retentives und Erinnertes bedürfen einer gewissen Zeit, vielleicht gar einer „Dauer“ des Bildes und des Blicks, von der auch Hollaufs Arbeiten stets zu berichten suchen. In ihnen richtet der Betrachter den Blick auf ein latente Leerstelle, eine Absenz, die der konnotativen und auch erinnernden Aufladung bedarf. Und um Erinnerung hier nicht als schlichtes Instrument des Rückgriffs misszuverstehen, sei eine zeitliche Paradoxie erwähnt, die den fotografischen sowie filmischen Arbeiten der Künstlerin zu eigen ist: Hollauf zeigt aufgelassene Orte der Freizeit, des Vergnügens, der Körpererfahrung. Doch jenseits dieser noch neutral erscheinenden Konnotationen ist das Schwimmbad, vielleicht in Analogie zum Spielplatz, ein Ort, an dem unterschiedlichste Modalitäten der Körpererfahrung und auch verschiedenste Formen von „Orten“ entstehen und sich überlagern können. Man könnte also durchaus von einem heterotopischen Ort sprechen, der nicht bloß den realen Körper adressiert, sondern das Subjekt mitsamt seinem Spektrum libidinöser Regungen und seinem Imaginärem erfasst. Hollauf kehrt in ihren Arbeiten immer wieder bewusst an den Punkt präkognitiver Erfahrung und zurück. Erinnerung fungiert in ihrem Bildverständnis nicht bloß rückwärts im Sinne eines Rückgriffs, sondern wirkt auch protentiv und projektiv (vielleicht sogar utopisch) im Sinne eines Erinnerns „nach vorne“.

Hollaufs Bilder beinhalten stets auch ein Moment des visuellen Kontrollverlustes. Die Künstlerin ist am Zustand des ungerichteten Blicks und der Absichtslosigkeit interessiert. Sie  erlaubt sich einen Bildbegriff, der oft präkognitiv und punktuell traumähnlich unscharf operiert. Dabei geht es freilich weder um Passivität oder Bequemlichkeit noch um neoromantischen Eskapismus, sondern um ein behutsames und doch stets konsequentes Fragen nach dem eigenen Sehen, der eigenen Wahrnehmung, ihren verdeckten Bedingungen und Koordinaten. Hollauf reflektiert somit auch das jeweilige Bild-, Blick- und Beobachtungsdispositiv, jedoch nicht in einem „wissenden“ Sinne, verobjektivierend oder intellektualisierend, sondern stets mit Bedacht auf das eigene, grundlegende „System“ und Medium der Wahrnehmung, den eigenen Körper, mit seinen Unwägbarkeiten und der ihm eigenen Zeitlichkeit.

 

David Komary