Künstlerin: Deborah Stratman
Die Ausstellung For the Time Being zeigt zwei Filme der amerikanischen Künstlerin und Filmemacherin Deborah Stratman (*1967, Chicago). Stratman untersucht in ihren Werken – in Skulpturen, Fotografien, Zeichnungen, Soundarbeiten sowie Filmen – Strukturen der Macht, der Kontrolle, des kollektiven Gedächtnisses, Denkens und Glaubens. In der aktuellen Ausstellung geht es weniger darum, die neuesten Filme oder Werke der Künstlerin zu zeigen. Die beiden Kurzfilme aus 2021 verbindet vielmehr die Auseinandersetzung mit Grenz- und Übergangsräumen und -gebieten, mit Orten und Bereichen, die zwischen Land und Wasser ansiedeln, zwischen Himmel und Erde, aber auch zwischen Anwesendem und Abwesendem. Beide Filme reflektieren dabei wesentlich abstrakte Aspekte der Wahrnehmung – von Raum und Zeit, ja des Seins selbst.
Stratmans Filme muten vordergründig dokumentarisch an, wenngleich ihre neueren Filme auch Inszeniertes und Nachgestelltes miteinbinden. Stratmans semidokumentarische Praxis ist weder streng konzeptuell noch didaktisch ausgerichtet, sie adressiert die BetrachterInnen mehr assoziativ und polysem. Ihre Filme werfen stets eine Reihe von Fragestellungen, von Problemen auf, sie erzählen nicht, sondern zielen, entsprechend der Komplexität der Zusammenhänge von Ort/Landschaft, Gesellschaft und Macht, auf eine mehrdeutige Lektüre und auf die aktive Semiose der BetrachterInnen.
Das vordergründig Reale, seine Gesetze und Kausalitäten, scheinen in den Übergangs- und Schwellengebieten der beiden gezeigten Filme Laika und For the time being außer Kraft gesetzt. Bild und Abbild, Reales und Filmisches, aber auch Reales und Imaginäres bilden hier reziproke Zusammenhänge. Das sogenannte Reale bildet – ähnlich wie in der frühkindlichen Wahrnehmung, die noch keine scharfe Grenze zwischen Vorstellung und Wirklichkeit zu ziehen vermag – keinen Kontrapunkt zum Irrationalen, Mystischen, Metaphysischen, sondern vielmehr ein Pendant, ein Äquivalent.
Stratmans Filme legen stets auch einen Schwerpunkt auf die auditive Dimension, auf Ton und Musik. Denn das affektive Potential von Ton, Klang und Musik, bleibt den RezipientInnen meist verborgen. Die Fokussierung aufs Akustische leitet sich bei Stratman nicht nur aus ihrer Beschäftigung mit Sounddesign und ihrer Unterrichtstätigkeit innerhalb dieses Bereichs ab, sondern lässt sich ebenso vor dem Hintergrund ihrer skulpturalen Praxis, der Entwicklung von Sonic Landscapes und Klanginterventionen, lesen, in denen sie die öffentliche und somit auch politische Dimension des auditiven Raumes thematisiert. Ihr Interesse gilt dabei durchaus alltäglichen Wahrnehmungssituationen und -bedingungen, sie richtet die Aufmerksamkeit auf wahrnehmungsbestimmende auditive Faktoren, die sich der unmittelbaren Wahrnehmung entziehen und sich daher besonders für manipulative Zwecke eignen.
Der Kurzfilm Laika (2021) ist, ganz entgegen der üblichen Arbeitsweise der Künstlerin, zu einer bereits vorhandenen Tonspur, genauer gesagt, einer Musik gemacht worden. Stratman hat den Film auf Einladung der Komponistin Olivia Block anlässlich der Veröffentlichung ihres Albums Innocent Passage in the Territorial Sea (Room40) entwickelt. Motivisch und thematisch kreist der Film um mythenbildende Maschinen der russischen und amerikanischen Raumfahrtprogramme, also um Experimente, die im Namen des Fortschritts unternommen wurden. „Some forms we can only know by their shadow. In homage to the spirits of space test dogs, or any being we use in the name of progress.“, so Stratmans Widmung des Films. Stratman schafft in Laika eine Hommage an jene „Geister“ von Weltraumtesthunden, durchaus auch stellvertretend für all die anderen Tiere, die für den Fortschritt verwendet wurden und werden. Auch wenn es hier nicht um Didaktisches oder Moralisches geht, so hinterlässt der Film dennoch sehr wohl ein gewisses Unbehagen beim Betrachter.
Stratman zeigt Erde und Weltraum in Laika stets in wechselseitigem Zusammenhang. Die Blickrichtungen, wer also wen von wo ausbetrachtet und beobachtet, changieren stetig innerhalb des Films. So sieht man in der Anfangssequenz einen ruhigen Sternenhimmel, der alsbald von zwei Flugobjekten gestört wird, die sich schon bald als Einblendungen zweier uns entgegenstarrender leuchtender Augen eines Testhundes entpuppen. Die folgende Einstellung richtet den Blick – auch hier wird der Betrachter teilweise stark geblendet –, auf einen stark spiegelnden, an einer Küste platzierten Tetraeder, vielleicht eine Anspielung auf einen gefallenen Stern, oder aber, im Sinne einer filmgeschichtlichen Referenz, die der Idee des Spiegels als Türe im Sinne von J. Cocteau (Orpheus) Raum gibt.
Die folgende kurze Sequenz, die Wärmebildkameraaufnahmen der näherkommenden rotierenden Sonne zeigt, führt in den musikalisch und bildhaft affizierendsten Teil des Films über. Man sieht Fragmente einer Rakete, die ins Meer fallen. Die Sequenz wird jedoch rückwärts und verlangsamt abgespielt, während Chor und Streicher glissandoartig in ein schrilles Klagen, gar Schreien zu münden scheinen. Indem Stratman die Aufnahmen invers abspielt, avancieren die Fallschirme (über den einzelnen Raketenteilen) zu quallenartigen Wesen fremder Provenienz. Es waren dies, so die Künstlerin, die ersten Vorstellungsbilder, die ihr beim Hören von Blocks Musik in den Sinn kamen: eine Raumhundekapsel, die rückwärts abgespielt, ihrem eigenen „Ursprung“ entgegenfliegt. Jegliche Kausalität scheint hier, beklemmend narrativ, entkräftet, ja invertiert.
Stratman gibt den „Geistern“ der Weltraumtesthunde gezielt filmischen Raum, Raum des Erscheinens, aber auch einer möglichen Art der Begegnung. Der Hund, der uns in der letzten Einstellung des Films, ähnlich wie schon zu Beginn, aus der Stille heraus anbellt, moralisiert jedoch nicht, er ärgert sich, so die Künstlerin, vielmehr über die menschlichen Vorstellungen von der Hierarchie der Wesen und will wohl längst nichts mehr mit unserer Art zu tun haben.
Der zweite, für die Ausstellung titelgebende Film For the time being, kann als Hommage und Videobrief an die Land-Art-Künstlerin Nancy Holt gelesen werden. For the time being gründet im gemeinsamen Interesse Statmans und Holts an Salzseen, weiten kargen Landschaften, und ontologisch an der Auseinandersetzung mit Kategorien von Raum und mehr noch – der Zeit. Die meisten Aufnahmen wurden auf und um den Great Salt Lake im Norden Utahs in den USA, am Mono Lake und Meteor Crater gedreht. Der Titel des Films stammt aus einem kurzen Text, den Holt 1978 für Robert Smithson schrieb, er lautet: For the time being, in the interim, in the course of time, from day to day, from hour to hour, until, in due time, and in the fullness of time, time endures, goes on, remains, persists, lasts, goes by, elapses, passes, flows, rolls on, flies, slips, slides, and glides by.
Landschaft wird auch hier – entgegen der vorerst dokumentarischen Anmutung – zu einem geradezu magischen Ort – zu einem Ort der Kunst. Der Film rekurriert durchaus unmittelbar auf Holts Arbeit, beispielsweise auf die Sternformationen ihrer Sonnentunnel. Er spürt ruhigen Seen und eruptiven Kratern nach, die letztlich weniger als Orte erscheinen, denn als überzeitliche Präsenzen, die ihre eigene zeitliche Dimension, das Ineinanderwirken ihres Seins, Dauerns und Werdens, ästhetisch zur Disposition stellen.
Nach einer anfänglich dunkeln Filmsequenz, die die Weite eines Sees oder Meeres zeigt, schlägt das Bild in ein dokumentarisches, zugleich aber auch abstrakt-immersives Landschaftsszenario um, das einen Mann ins Bildzentrum setzt, der kniehoch durchs Wasser watend ein Boot oder Floß zieht. Realiter befinden wir uns auf der nördlichen Hälfte des Great Salt Lake, ganz in der Nähe von Smithson‘s Spiral Jetty. Die links und rechts am Floß montierten Seile bilden eine klare geometrische Form, wiederum eine Anspielung an die Grundform des Dreiecks, die sich bei Stratman häufiger findet, durchaus aber auch eine Anspielung ans Prinzipielle, Universelle geometrischer Grundformen – in der Natur. Die darauffolgenden Kamerablicke zeigen, wiederum in direkter Referenz zu Nancy Holt, eine Folge abstrakter Sternenkonstellationen.
Die drei letzten Einstellungen des Films lässt Stratman semiotisch polysem, durchaus als Frage an den Betrachter formuliert, verlaufen: Ein Aussichtplateau spielt, durchaus selbstreferenziell aufs Filmische selbst an, eigentlich aufs Panoramatische und somit auf jenes Blickdispositiv, das dem Film blickgeschichtlich voranging und dessen Begehren, viel, ja alles von einem souveränen Standpunkt sehen zu können, in weiten Teilen bereits vorwegnahm. Realiter wurde die Aufnahme in Winslow, Arizona, gemacht. Das besagte Fernrohr befindet sich auf einem Hügel, der von einem Kometen eruptiv aufgeschüttet wurde, ein „Meteorkrater“, wie er unmittelbar danach blaustichig, als Film im Film, kurz zu sehen ist.
Ein orangefarbenes Dreieckszelt, das in der Folge verloren an einer Küste gelegen erscheint, tritt dem Betrachter als eine Art geometrischer Markierung (in) der Landschaft gegenüber. Das Zelt changiert dabei zwischen Behausung, Landschaftsmarkierung und abstrakter, piktoraler Form. Realiter stellt es eine Sicherheitsvorrichtung dar, es kommt bei Expeditionen im Notfall zum Einsatz, wenn sämtliche anderen Kommunikationssysteme ausfallen. Auf ähnliche Weise setzt Stratman zwei weitere Warnzeichen, einen auf orangem Stoff angebrachten Kreis sowie ein Quadrat, in Szene. Auch diese Formen werden jenseits ihrer ursprünglichen Funktion, also bildlich gelesen, zu abstrakten, beinahe mystischen Zeichen. Vielleicht bilden sie sogar ein diskretes Zeichensystem, eine Art Morsecode, den dann wohl nur Nancy Holt zu dechiffrieren vermag.
Die letzte Einstellung zeigt die schlichte, zugleich poetische Aufnahme einer Windsocke. Wiederum eine Messvorrichtung, die formal auch Nancy Holts Interesse hätte wecken können. Vielleicht auch eine Anspielung an die Form der Sonnentunnel selbst? „Also“, so Statman, „if I try to capture what experience or force most aptly qualify what the ‘present’ is… I think about the wind. This ‚letter‘ is for Nancy, but also the Time being. For the present and 50.000 year old meteor impacts and our 4,3 billion year old planet“.
David Komary
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