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Oktober – November 09

Text | engl. | Abbildungen


KünstlerInnen: Gregor Eldarb, Martina Steckholzer

Das Spiel wird zum Modus eines Entdeckens, verändert sich aber seinerseits durch das, was es in Bewegung gebracht hat. Wolfgang Iser

Die Ausstellung how to be a player verbindet zwei Malereipositionen, denen eine spezifische Ästhetik des Fragmentarischen gemeinsam ist. Gregor Eldarb und Martina Steckholzer zielen auf eine Verunsicherung der Wahrnehmung mittels spielerischer Formen ästhetischer und semiotischer Diskontinuierung und Dissoziation. Während Eldarb nach Modellen und Modalitäten imaginärer Räumlichkeit fragt, setzt Steckholzer kunstkontextreflexiv, genauer: interpiktoral-semiotisch, an. Beide KünstlerInnen reflektieren – wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise – ästhetische Standards, hinterfragen und dekonstruieren kanonisierte Lesarten abstrakter Formensprachen der ersten Moderne (so Eldarb) sowie der jüngsten Kunstgeschichte (so Steckholzer). Sie zielen dabei auf die Kontingenz visueller Übertragungs-prozesse: Eldarb auf jene von räumlichen in bildhafte Momente und vice versa, Steckholzer auf jene von fremdreferenziellen Fragmenten ins eigene ästhetische System.

Die Arbeiten bilden in einer mnemischen Lesart Memory-Interfaces, die widerspiegeln, dass wir uns von einer „alteuropäischen Kultur, die das Speichern privilegiert, hin zu einer Medien-kultur der permanenten Übertragung fortbewegen“(1).

Steckholzer und Eldarb lösen sich jedoch auf je eigene Weise von der Referenz zugunsten einer Kinetik des Bildes, genauer gesagt: zugunsten der prozessualen Spezifika und Möglichkeiten des malerischen Bildes. Divergenz und Synthese, Aneignung und Setzung bilden demnach ein System von Oppositionen, das für beide Arbeiten konstitutiv ist. Weder ist Subjektivität ohne kulturelles Archiv, noch umgekehrt Kultur ohne Abweichung und Differenz denkbar. Indem beide KünstlerInnen den Beobachter-standpunkt modulieren – Steckholzer semiologisch, Eldarb bildräumlich – evozieren sie Unbestimmtheitsstellen, die das jeweilige Bezugssystem (Raummodell, Kunstsystem) relativieren, um mögliche ästhetische Spielräume auszuloten.

Gregor Eldarbs Malerei setzt sich aus zeichnerischen Lagen zusammen, die sich durch mehrschichtige Überlagerungen zu einem komplexen polyperspektivischem Raumbild verdichten. Perspektivische Verzerrungen durchdringen objektabbildende Liniengefüge, welche ihrerseits Raumfluchten tieferliegender Bildlagen überschreiben. Die unterschiedlichen zeichnerischen und malerischen Lagen bilden Interferenzen in Form mimetischer Störungen und Unbestimmtheiten aus, die den Betrachter einer piktoralen Unsicherheit aussetzen. Denn ein souveräner, klar definierter Beobachterstandpunkt, gar eine eindeutige Raumsicht, scheint hier verunmöglicht. Nicht ein Standpunkt der Betrachtung, nicht das Bild des/eines Raumes, sondern Weisen der Wahrnehmung von Raum, Lesarten von Räumlichkeit werden hier aktiviert, gegeneinander gehalten und ineinander verschränkt. Der Blick bildet hier weder ein Analogon zur angeblich wirklichkeitsabbildenden Camera obscura bzw. Fotokamera, noch zur triaxial-zentralperspektivischen Darstellungsweise, die stets auf einer radikalen Abstraktion, insbesondere des Zeitlichen, beruht. Er zeigt sich vielmehr als wesentlich zeitlich bestimmt: Eldarb untersucht weniger den Zusammenhang von Raum und Bild als vielmehr die Wirkung der Zeit auf die Vor- und Darstellung von Raum, weniger Farbe und Form als deren Temporalisierung. Die zeichnerischen Fragmente, von denen der Künstler ausgeht, sind nicht Arretierungen eines Blickes, sondern vielmehr Auslöser einer zeichnerisch-malerischen, prozesshaften Analyse von Raum. Malerei fungiert hier als ästhetischer Reflexionsprozess über Formen und Modelle von Räumlichkeit, die oftmals auf hegemonialisierten Darstellungs-weisen basieren. Die amimetische Variabilität der Formen erweist sich dabei als resistent gegen referenzielle Vereinnahmung. Eldarb entwickelt eine Ästhetik des Unfertigen, die sich jenseits von Intentionalität einerseits und eindeutigem Verweis auf ein Äußeres andererseits fortschreibt. Sie vermag den Betrachter auf sein eigenes Wahrnehmungshandeln zu verweisen, auf ein Sehen nicht im Sinne eines Wiedererkennens, sondern als hervorbringende Tätigkeit.

Eldarbs raumbefragende künstlerische Praxis verschränkt bildhafte mit objekthaft-räumlichen Aspekten. Nicht die Favorisierung von entweder Objekt- oder Bildhaftigkeit, sondern die Momente des Übergangs und der Übertragung sind von Interesse. In Nicht unbedingt ein Tisch verwendet Eldarb, dem visuellen Dispositiv des Tafelbilds nicht unähnlich, einen klar begrenzten Bereich, eine quaderförmige Vitrine, die ihm den Rahmen zur Untersuchung von Räumlichkeit bietet. Er konfiguriert darin Gefüge aus Glasflächen und -objekten (z.B. Röhren) sowie farbigen Glasflächen in geradezu konstruktivistisch anmutender Weise. Ähnlich einer farbtheoretischen Untersuchung unternimmt er ein Experiment, das freilich nicht auf Verifikation oder Falsifikation abzielt, sondern auf ästhetische Wahrscheinlichkeiten, Unbestimmtheiten und mögliche visuelle Wechselwirkungen. Weniger die Anordnung und Komposition der disparaten Einzelteile ist dabei entscheidend, sondern das Spiel ästhetischer Interferenzen. Eldarb schafft einen Rahmen für die visuelle Performanz transluzider Formen: Durch die Multiplikation und Verdichtung der Oberflächenphänomene, durch Transparenz und Spiegelungen der Glasobjekte, konfiguriert sich ein variables, sich ständig im Auge des Betrachters neu zusammensetzendes Bild.

Liest man das abstrakt-räumliche Gefüge Eldarbs als mögliches architektonisches Modell, so führt dies zu einem weiteren Übertragungsprozess, dem Umschlagen der Größen-ordnungen. Vielleicht ein ironischer Kommentar zu den rationalistischen Versprechen des Konstruktivismus? Entgegen jeglicher Ordnung und kompositorischen Logik kommt es zu einer kontingenten Komplexität der ästhetischen Ereignisse, die die anfänglich geometrische Klarheit der Anordnung auflöst. Räumlichkeit bildet sich nicht auf Basis einer wie immer gearteten Ordnung, einer kanonisierten Raumvorstellung, sondern ästhetisch-prozessual durch das Raumhandeln des Betrachters.

Martina Steckholzers Malerei ließe sich in einer ersten, semiotischen Lesart als ein System von ästhetischen und zeichenhaften Interferenzen beschreiben. Man meint, in ihren Bildern Formen und Formlogiken zeitgenössischer Kunstproduktion und -präsentation wiederzuerkennen. Steckholzers Bilder scheinen einerseits vertraut, andererseits bleiben sie durch systemische Unbestimmtheitsstellen auf gewisse Weise fremd. Ihrem Kontext entrissen, setzen die teils inkongruenten visuellen Fragmente und Bezüge den Betrachter der Verunsicherung aus. Die Künstlerin führt Bestimmtes ins Unbestimmte, um den Blick an den Betrachter zurückzuwenden. Er wird herausgefordert, sich im Gefüge aus erkannter Referenz und vage erinnerter Visualität stets neu zu orientieren.
Sieht man über die referenzielle Ebene hinaus, so birgt Steckholzers Malerei ein gedächtnis-kybernetisches Potential: Während Eldarb die Temporalisierung der Wahrnehmung in Bezug auf die Darstellungsformen von Raum untersucht, findet sich bei Steckholzer ein zeitreflexives Moment in der Aktivierung eines vielschichtigen visuellen Gedächtnisses, das einem ästhetisch Unbewussten gleicht.

Unter mnemischen Gesichtspunkten betrachtet, verwendet Steckholzer eigens aufgenommene Fotos/Videostills als der Malerei vorgeschaltetes Medien, als Formen medial gestützter Erinnerung, um Visuelles für die eigene Praxis verfügbar zu machen. Eine Ausstellungsansicht der Biennale in Venedig wird auf diese Weise zum Material für Up until the 1980s. Die Überlagerung einer Ausstellungsvitrine mit abstrakten Ausstellungsstücken im fotografischen Vordergrund und eine Wandhängung künstlerischer Fotografien im Hintergrund des Bildes werden von der Künstlerin im Medium der Malerei abstrakt weiterverhandelt. Steckholzer fusioniert – hierin Eldarb nicht unähnlich – verschiedene räumliche Lagen zu einem eigenständigen piktoralen Kompositum. Nicht mehr die Referenz ist von Interesse, sondern die malerische Übertragung und Übersetzung in eine Form- und Farbkonstellation, die schließlich nur mehr vage, referenziell unscharf, an vertraute Codes und Formenkanons des Kunstbetriebs erinnert, diese aber nicht mehr dekodierbar macht. Trotz der Zusammenführung innerhalb der Malerei bleiben die teils antagonistischen Kräfte der verschiedenen Bildlagen erhalten. Steckholzers Interesse gilt nicht der ästhetischen Egalisierung und Angleichung von Heterogenem, sondern vielmehr der Inkongruenz, die trotz formal präziser malerischer Setzung zu einer stetigen Unruhe führt. Sie inszeniert auf diese Weise ein sich verschiebendes semiotisches Zentrum, sie entwirft ein polysemes piktorales System, das immer auch andere Anschlüsse und Fortsetzungen vorstellbar macht.

Das Medium der Malerei vermag bei Steckholzer zwei zeitliche Bewegungen zu verbinden. Sie koppelt einen aktuellen, ästhetisch-sinnlichen Prozess mit einer rekursiven semiotisierenden Bewegung, einer Erinnerungsleistung. Sowohl für das Entstehen der Arbeiten als auch für deren Wahrnehmung durch den Betrachter bleibt diese Doppelbewegung, dieses Spannungsfeld konstitutiv. Erinnerung ereignet sich dabei als interpretatorischer Akt, sie ist nicht Rückgriff auf abgelegtes, kanonisiertes Material, sondern wird zum bedeutungsgenerierenden, vergegenwärtigenden Prozess. Rekursion und Setzung, Erinnerung und Abweichung bilden demnach einen untrennbaren dialektischen Zusammenhang. Die Arbeit Steckholzers rekurriert dabei stets auf Außenperspektiven, zeigt sich als Eigenes im Uneigenen. Subjektivität artikuliert sich jeweils temporär in interpretatorisch-kombinatorischer Form, wobei Interpretation hier per se mit Abweichung, mit der Erzeugung von Mehrdeutigkeit, von bisher nicht gesehenen Bedeutungen, zu tun hat. Das Ich bildet eine durchlässige Schnittstelle, ein Framing, das verschiedenste Schreibweisen zu verbinden vermag – gerade diese Modifikationen des eigenen Standpunktes, der eigenen Perspektive, fokussiert Steckholzer in ihrer Malerei.
Das ästhetische Spiel, das Eldarb und Steckholzer betreiben, entsteht aus individuellen Aneignungsformen des visuellen Materials sowie den durch die jeweilige ästhetische Praxis generierten systemischen Abweichungen, Irritationen und Brüchen. Sie versuchen freilich längst nicht mehr, einen Zustand vermeintlicher Ganzheit vor der Rekombination zu beschwören(2), favorisieren aber auch nicht Sampling und Fragmentierung per se – schließlich sind Auflösung und Fragmentierung längst schon affirmative Begriffe. Beide KünstlerInnen zielen vielmehr auf Variabilität, Eldarb auf ein Sehen in freien Variation, Steckholzer auf polyseme Anschlüsse und differierende Lesarten von Kunst. Letztlich geht es beiden darum, „die unfertige Form zu erhalten, Zuschreibungen und Sedimentierungen zurückzuweisen, ständig neue Konnexionen zu erzeugen, Mutationen zu provozieren, Teleologien zu negieren“(3).

 

David Komary




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Anmerkungen:

(1) Wolfgang Ernst, Das Archiv transitiv schreiben, in: ders., Das Rumoren der Archive, Berlin: Merve 2002, S. 14.
(2) Vgl. Reinhard Braun, Re-Cycling, Re-Formating, Re-Morphing, Re-Sampling ..., in: Büro für Intermedialen Kommunikationstransfer (Hg.), copy & paste. drag & drop, Innsbruck 2004, http://braun.mur.at/texte/ sampling_3800.shtml
(3) Ebd.