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Dezember 21 – März 22

Text | engl. | Abbildungen



Künstlerin: Meta Drčar

Die slowenische Künstlerin Meta Drcar, die November/Dezember 2020 und Juni 2021 zu Gast bei AIR – ARTIST IN RESIDENCE Niederösterreich war, setzt sich stets ortsspezifisch mit dem Verhältnis von Körper, Wahrnehmung, Raum und Architektur auseinander. Skulptur und Architektur stehen dabei in einem dialektischen Verhältnis. Wenngleich die Künstlerin in der in Nonnegative gezeigten, eigens für die Galerie Stadtpark entwickelten Installation, eine geradezu minimalistische Formensprache bedient, lassen sich ihre Gefüge aus Glasflächen und zeichnerisch anmutenden Stahlrahmen nicht auf ihre skulpturale Artikulation und Präsenz reduzieren. Die Künstlerin fragt vielmehr danach, wie dergleichen einfache geometrische Raumelemente, also beispielsweise vertikal aufgestellte Rechtecke aus dünnem Stahlprofil oder ein repetitives Gefüge aus großformatigen schwarzen Glasflächen, auf die Raumwahrnehmung und das Raumhandeln des Betrachters einwirken, wie und auf welche Weise sie eine Art augmentierter räumlicher Wahrnehmung herzustellen vermögen. Drcars Arbeiten lassen somit durchaus auch einen subtil-performativen Charakter erkennen. Sie schafft ein höchst aktuales spatiales, zugleich prozessuales Geschehen, das sich keinesfalls bloß im Physischen und auch nicht bloß im Perzeptiven, sondern deutlich als aktiver Prozess der Raumdiegese artikuliert.

Bestimmte Formelemente des Gebäudes wie die Repetition rechteckiger Formen dienen Meta Drcar als formale Referenz für eigene, abstrakt im Raum platzierte „Frames“. Die räumliche Konstellation aus einfachen geometrischen Formen nähert sich dabei einer Art räumlicher Zeichnung an, der zeichnerischen Konstellation weniger geometrischen Formen aus Stahl, Glas, Wasser. Drcar bedient, als ein weiteres ästhetisches Register, die Fähigkeit des Betrachters, Fehlendes zu ergänzen, Formen wie unvollständige Rechtecke oder Kuben imaginär zu vervollständigen, zu füllen, oder auch angedeutete Raumlagen zusammenzufügen. Auf diese Weise vermögen die räumlichen „Zeichnungen“ Drcars imaginäre Volumina aufzuspannen.

Materialsprachlich zeichnen sich die skulpturalen Elemente Drcars, die vertikal aufgestellten Frames wie auch die rechteckigen Glas- und Wasserflächen, durch ihre einfache, ja reine Anmutung aus. Die Formensprache ist vordergründig durchaus minimalistisch, die Künstlerin verwendet Stahl, Glas und Wasser als „Elemente“, die in sich gänzlich homogen sind. Diese Reinheit soll jedoch nicht der Idealität einer gewissen Form oder Kunstbegriffs zuspielen. Der Künstlerin zielt vielmehr auf Handschriftlosigkeit, um mithilfe jener reduzierten Formen den Betrachter auf einfache, subliminale Weise zum Raumhandeln, zur räumlichen Exploration zu führen. Meta Drcar aktiviert auf diese Weise die kinetische Energie des abstrakten Raumgefüges und setzt so eine je individuelle Raumchoreographie in Gang.

Drcar rekurriert in Frame Series, Work No. 9 im Hauptraum des Gebäudes auf ein weiteres wesentliches Raummerkmal des modernistischen Ausstellungspavillons, seine inhärente Transparenz. Die Künstlerin verdoppelt/kopiert die Glasfront aus sieben großformatigen Glasflächen nicht bloß, sondern „übersetzt“ diese in schwarzes Glas. Sie nimmt dem Glas auf diese Weise seine Transparenz und macht es zudem zum (schwarzen) Spiegel, zur potentiellen Raumerweiterung, was das gesamte Gefüge partiell zu einer Blickmaschine avancieren lässt. In ähnlicher Weise übersetzt die Künstlerin das Glas der Oberlichtenfenster im Eingangsbereichs des Galeriegebäudes in Frame Series, Work No. 8 in Wasser. Die drei Glasflächen werden jeweils als dünne Schicht Wasser in ein eigens hergestellten minimalistisch anmutenden Stahlbecken vorgestellt. Vereinfacht lässt sich sagen, dass Drcar gewisse Spezifika des Raumes affirmativ aufgreift, weiterentwickelt, ja skulptural autonomisiert, während andere verändert, invertiert oder transformiert werden.

Drcar fokussiert in den Rauminstallationen Frame Series, Work No. 8 im Eingangsfoyer des Galeriegebäudes sowie Frame Series, Work No. 9 im Hauptraum des Gebäudes auf bestimmte Merkmale des Ausstellungshauses. Eigenschaften, eigentlich Kontrastpaare wie schwarz/weiß, opak/transparent, fest versus flüssig, stehen als Pole komplementär und dennoch auch dialogisch gegenüber. Man findet Schwarzes (Glas), das sich in Kontrast zum Weiß der Wände befindet, oder auch Opakes im Gegensatz zu Transparentem, sowie Festes zu Ephemerem (Licht, Wasser). Die Künstlerin geht metaphorisch gesprochen die äußeren Pole des Raumes ab und setzt dessen signifikantesten Raummerkmale in Szene. Doch geht es ihr hierbei nicht, wie vorhin bereits erwähnt, ums Formale, um Klarheit oder Reinheit der Form etc., sondern um das Spannungsfeld, das sich zwischen den jeweiligen „Polen“, also schwarzes/weiß, opak/transparent, fest/flüssig, konstituiert und perzeptiv erschließen lässt. Die intendierte Transformation des vermeintlich gegebenen Raumes geschieht bei Drcar wesentlich zwischen diesen Polen, zwischen jenen Binäritäten. Einfachste Raummerkmale sowie deren Gegensätze werden so zur impliziten Handlungsaufforderung, sich den Raum eigens ästhetisch zu erschließen. Der Wandel vollzieht sich wesentlich in der je eigenen Anschauung und im Raumhandeln. Drcars versteht Raum per se diegetisch, unter den Vorzeichen der Dialektik von Ding (Gegebenem, Physischem) und Anschauungsgegenstand (Wahrnehmungsprozess und -handeln). Ihre skulpturalen Gefüge handeln von (anfänglich) festen, fixen Formen, die im perzeptiven Verlauf jedoch jeweils zum Gegenstand ästhetischer Erscheinung werden und dabei unterschiedliche (subjektive) Erscheinungsformen hervorzubringen vermögen.

Das Element der Wiederholung, etwa der sieben schwarzen Glasflächen oder der geschweißten Rechtecke (Frames), bedingt bei Drcar etwas Metrisches, die Wahrnehmung Strukturierendes. In jedem Fall widerspiegelt das Moment der Repetition eine für Drcar bedeutende zeitliche Dimension räumlichen Sehens und Wahrnehmens. Vor Drcars Hintergrund des zeitgenössischen Tanzes und der Choreographie, beide künstlerisch-biografischen Stränge bestimmen wesentlich ihr räumliches Denken mit, erweist sich das Verhältnis von Subjekt/Körper zu Raum per se kinästhetisch fundiert, zeitbasiert sowie prozessual ausgerichtet. Das eigentliche Material der Künstlerin sind somit weder das „Zeichnen“ mit geometrisch-skulpturalen Grundformen, auch nicht deren formaler Purismus (Minimalismus), sondern der Prozess(e) der aktiv-räumlichen Wahrnehmung, den diese auszulösen vermögen. Die „Performanz“, das Raumhandeln der RezipientInnen, der Prozess der individuellen Raumdiegese, und letztlich das Hervorbringen von Raum selbst, werden als eigentlicher Fokus der Künstlerin erkennbar.

Drcars Installationen untersuchen die Interdependenz zwischen sich bewegendem Körper und (vordergründig) gegebenem architektonischem Raum. Die skulpturalen Gefüge fungieren als eine Art Medium, als ästhetischer, ja epistemologischer Mittler zwischen Subjekt (Anschauung), Körper und Raum. Die Installationen fordern den Betrachter subtil heraus, sie bedingen Körperbewegungen, eine Art latenter, unwillkürlicher Choreographie in Resonanz und Reaktion auf die Installationselemente und Setzungen.

Ein zentrales Element, das sich bereits in früheren Arbeiten Drcars wiederfindet, ist die Auseinandersetzung mit Licht, mit dem Spannungsfeld von Licht und Raum. Wenngleich die Installationen in Nonnegative nicht direkt das Raumlicht skulptural befragen oder übersetzen, spielen die Veränderungen des Lichts dennoch eine konstitutive Rolle für die Präsenz, oder besser gesagt, die jeweilige Erscheinungsform der Raumgefüge. Das Licht bildet hier nicht nur eine atmosphärische Lage, die der Rigidität der minimalistischen Raumsetzungen kontrastierend gegenübersteht und diese sozusagen transzendiert. Licht und auch die sich verändernden Schatten werden hier zu einer Art visuellem Bestandteil der Installationen. Das „Medium“ Licht lässt das an sich statische Raumgefüge veränderlich erscheinen. Es bilden sich, ausgehend von einer fixen Rauminstallation, unterschiedliche Räume im Raum. Diese Veränderlichkeit der Anmutung, der jeweiligen Erscheinung der Installation, spielt der kinetischen Energie der Raumelemente zu. Der Betrachter wird dabei selbst zum Bestandteil einer permeablen Installation, die er sich gehend, sehend, erschließt.

Die Wirkung des Lichts, also auch die Frage, ob die Installation bei Sonnenlicht, bei bedecktem Himmel oder abends bei künstlichem Licht begangen wird, lässt nicht bloß die skulpturalen Entitäten, etwa die vertikal platzierten Eisenrechtecke (Frames) unterschiedlich erscheinen. Die Lichtsituation wirkt auch wesentlich auf die zweite perzeptive, optische „Wirkungsweise“ von Drcars Installation ein, auf das Reflexionsverhalten der am Boden platzierten schwarzen Glasplatten. Die dunklen Glasflächen, eigentlich eine auf den Boden gelegte dunkle Kopie der Glasfront des Gebäudes, werden zu einer Art Blickmaschine, sie schaffen ein Reflexionsgeschehen, das den Raum in seiner Erscheinungs-/Anschauungsform, ihn nach unten hin öffnet und erweitert und teilweise gänzlich transformiert erscheinen lässt. Je nach Standpunkt erscheinen die Glasplatten – beispielsweise, wenn sich bloß weiße Wand darin spiegelt – entweder fast matt und stumpf oder aber werden zur Raumerweiterung, zeigen Auffaltungen und Staffelungen des Raums.

Lichtgeschehen und Spiegelungen – wie auch Transparenzen – lassen Raum, der bei Drcar anfänglich noch so klar, streng und ruhig erscheint, als veränderlich, situativ, ja relational erscheinen. Raum ist hier das Gegenteil einer einfachen physischen Gegebenheit, ist längst keine schlichte Ansammlung von Gegenständen, Wänden und Körpern mehr. Auch ist Raum hier nicht homogen, eine geometrische (euklidische), zeichnerisch gedachte Ausdehnung. Bei Drcar lässt sich Raum vielmehr nur vom Prozess des Raumhandelns, des Gehens, des sehenden Begehens begreifen. Letztlich ereignet sich hier jeweils ein Prozess der Raumdiegese, des Verknüpfens unterschiedliche Raumeindrücke und perspektivischen Wahrnehmungsereignissen.

Denkt man Drcars unterschwellige Anleitung zum Raumhandeln weiter, so geben ihre Installationen auf einer Metaebene über Raum per se zu denken, über die Art und Weise, wie wir bestimmte architektonische Situationen erleben, erfahren, oder aber auch infrage stellen. Drcars schafft räumliche Situationen, die letztlich nicht nur Konventionen der Raumwahrnehmung und -vorstellung reflektieren und unterwandern, sondern auch wesentlich ein intuitives, nonsprachliches, kinästhetisches „Verstehen“ von Raum miteinschließen. Drcar sucht Raumgefüge zu schaffen, die die gegebene Form, den vorgefundenen Raum, durch die explizit subjektive Erfahrung durchdringen und transzendieren.

 

David Komary