Künstler: Břetislav Malý
Das Bild als semipermeable Wand
Auf den ersten Blick erscheinen die monochromen Werke des tschechischen Künstlers Břetislav Malý als eine Form abstrakter Malerei. Malýs Arbeiten der vergangenen zwei Jahren sind dabei deutlich selbstreferentieller als seine früheren, mehr innerbildlich und strukturell verhandelten Bildräume. Doch hier allein von Abstraktion oder abstrakter Malerei zu sprechen, wäre nicht bloß eine inhaltliche Reduktion, sondern eigentlich Themenverfehlung. Denn realiter schafft Malý Bilder, die stets auch ins Objekthafte drängen. Umgekehrt betrachtet „baut“ er Objekte, die sich dem Betrachter explizit ebenso als piktorale Präsenzen zu erkennen geben. Malýs Bildobjekte bilden Scharniere zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, sie stellen dem Betrachter bildontologische, nein per se ontologische Fragen nach dem Seinsstatus des jeweiligen Werks.
Seit nunmehr zwei Jahren, genauer gesagt seit dem Beginn der Serie Inside colour, arbeitet Malý mit einem besonderen, ja palimpsestartigen Aufbau des Bildkörpers. Maly trennt Leinwand, Rahmen und Farbe als malerische Agenzien von einander, um sie in anderer „Proportion“, in anderem, verändertem Verhältnis zueinander neu in Beziehung zu setzen. Die einzelnen Komponenten werden sozusagen entkoppelt und autonomisiert, sie beginnen, quasi jede für sich, zu mutieren, dicker, dünner, flacher, räumlicher zu werden.
Der Künstler verwendet für seine Malerei Graphit als einziges Pigment, als einzige Farbe, die schichtweise in Harz eingestreut, dadurch gebunden und nach dem Auftrocknen der jeweiligen Schicht aufpoliert wird. Das Resultat ist ein hochgradig reflektierendes Bild, das dunkel spiegelnd auch den Umgebungsraum in Form von Reflexionen ästhetisch miteinzubinden, man könnte gar sagen, abzubilden vermag. Dennoch fungieren diese Bilder nicht als schwarze Spiegel. Zu eigenwillig, zu unterschiedlich und auch durchaus zu unregelmäßig ereignen sich jene Spiegelungen auf der Bildoberfläche. Das Graphitpigment behält durch das schichtenweise Auftragen zudem seine anthrazite Eigenfarbe, sodass der Bildkörper, der zudem nicht selten latent von der Geviertform abweicht, beinahe stählern und metallisch wirkt und auf diese Weise ins Objekthafte drängt.
Der malerische Prozess, das schichtweise Aufbringen, Trocknen und Polieren des Graphits, spielt für die Erscheinung des einzelnen Bildobjekts eine entscheidende Rolle. Malýs Bildobjekt stellt nicht bloß Räumliches und Bildhaftes zur Disposition, sondern bildet vielmehr auch eine zeitliche Dimension ab. Jedes der Bildobjekte akkumuliert in seinem schichtenartigen, palimpsestartigen Aufbau auch per se Zeit. Die Bildkörper Malýs übersetzen somit auch Prozesshaftes in Manifestes, Zeitliches in Objekthaftes. In ihrem Nebeneinander eröffnen die Bilder dem Betrachter auch eine zeitliche Dimension, sie erscheinen als Auszüge eines Bildformungsprozesses, als unterschiedliche Arretierungen eines prozesshaften Kontinuums.
Bei Břetislav Malý stellt sich nicht nur die Frage, ob es sich um ein Bild oder Objekt handelt, sondern auch um die Frage, wo sich das etwaige Bildgeschehen ereignet. Am/im Bild, im Sinne der Eigenfarbe, oder doch am Bild, in Form von Spiegelungen, oder aber doch mehr retinal, im Auge des Betrachters? Jenseits dieser bildontologischen Herausforderungen lässt sich das dunkel spiegelnde Geviert aber auch stets als eine Art Nicht-Bild lesen. Es verweigert den Blick, die Anschauung und wirft auf gewisse Weise den Blick an den Betrachter zurück. Ja es versieht, epistemologisch gedacht, den Wunsch, zu sehen und sehend zu erkennen, per se mit einem Fragezeichen.
Tritt man näher an Malýs Bildobjekte heran, so scheint sich das Piktorale an den jeweiligen Bildändern selbst infrage zu stellen. Malý schafft einen aus mehreren Leinwandschichten gestapelten Bildträger, der die eigene Gemachtheit, Konstruiertheit, keineswegs verbirgt. Im Gegenteil, die an den Rändern teils ausfransenden Leinwandschichten gleichen einem beschädigten Stoffkörper, in ihrer metallischen Präsenz muten sie zudem fremdartig, beinahe androidartig an.
Die geschweißten Bildträger, die sich dem Betrachter bei einer Vielzahl von Malýs Bildobjekten seitlich oder unterhalb zeigen, konterkarieren die Souveränität der Bildfläche und unterwandern ihre ästhetische Autonomie. Das Gestell, die Eisenkonstruktion, zeigt sich einerseits in seiner Funktion als Bildunterkonstruktion, andererseits lässt Malý es aus seiner dienenden Funktion heraustreten und so durchaus in einem ästhetischen Gegenspieler zum Oberflächengeschehen avancieren. Diese Dialektik widerstreitender Autonomien bildhafter und objekthafter Provenienz verleiht Malýs Arbeiten eine inhärente ästhetische Spannung. Die potentielle Mehrdeutigkeit soll bewusst erhalten bleiben. Jedes Werk fungiert so als eine Art Dispositiv bildlicher und ebenso objekthafter Deutungsart. Nicht ein entweder/oder, sondern ein sowohl(als-auch sind hier von Interesse.
In der Bilderserie Situation in square I-III (2022) konfrontiert Malý den Betrachter mit einem Gefüge aus drei gleich großen quadratischen Bildkörpern, die in ihrer Kopräsenz einander beinahe zu kommentieren scheinen. Bildhaft betrachtet ist auffällig, dass sich die Bilder in ihrem Reflexionsverhalten deutlich unterscheiden. Malý hat die Graphitoberfläche in Situation in square III deutlich stärker aufpoliert als in den beiden anderen Gevierten. Der Betrachter vermag sowohl das Raumgeschehen als auch sich selbst vor dem Bild weitestgehend wiederzuerkennen. Auch ist die Eigenfarbe des Graphits durch das Aufpolieren dunkler als in den beiden anderen Arbeiten. Das Bild gibt demnach nicht nur sich selbst zu sehen, sondern auch den Wahrnehmenden selbst. Es macht den Sehenden sozusagen sehend, sich selbst „erkennend“. Versteht man Malýs Bilder bzw. Bildobjekte als semipermeable Wand, die ein Inneres des Bildes mit einem Bildaußen, dem Umraum, in Beziehung setzt, so ist der Fokus in dieser stark spiegelnden Arbeit deutlich auf das Bildaußen, den Raum vor dem Bild, gerichtet, der sich in hohem Grade mimetisch über das Spiegelgeschehen einschreibt.
Die beiden anderen Bilder der Serie, Situation in square I und II, weisen deutlich weniger Glanz auf. Hier hat der Künstler die Graphitschicht, also jene letzte in die feuchte Epoxidharzschicht gestreute Pigmentschicht, die bloß aufgetragen und nicht wie die darunterliegenden Graphitschichten eingegossen wird, nur wenig poliert. Das Graphit behält so seine Eigenfarbe sowie seinen gebrochenen, stumpfen Glanz. Schon in diesen aus Graphitschichten aufgebauten Bildlagenkörpern schafft Malý ein Innen und Außen, ein Davor, Dahinter, Darunter. Der Betrachter sieht nicht einfach nur die letzte Graphitschicht, er sieht auch, je nach Politur, in untere, tiefere Graphitschichten hinein. Ähnlich einer Temperamalerei erweist sich die Bildschicht selbst als räumlich geschichtet. Das Lichtgeschehen zeigt sich an bzw. in diesen Schichtkörpern differenziert. Der Wahrnehmungseindruck des Bildes wird simultan von Tiefenlichtphänomenen, von der Eigenfarbe des Pigments sowie von Reflektiertem bestimmt. Dieses triadische Verhältnis bildet das eigentliche Kompositionsmaterial Malýs, das er in unterschiedlicher Balance von Bild zu Bild auslotet. Der Bildraum Malys zeigt sich in keinster Weise homogen oder kohärent, er ist vielmehr selbst Kompositum, ontologisch geschichtet.
Als Spiegel vermag das Bild – eine Lesart, auf die der Künstler nicht vordergründig abzielt – den Betrachter als wahrnehmendes Subjekt sichtbar zu machen. Er fungiert quasi, ohne zu sehr in psychoanalytische schlittern zu wollen, als Ichbildner, der mich im Raum zeigt, aber auch, im Sinn eines Dispositivs, (vor dem Bild) anordnet. Der Spiegel zeigt nicht nur, sondern positioniert und isoliert zugleich. In jedem Fall verweist sich der dunkle Spiegel alles andere als neutral. Er fordert den Blick heraus, bringt die Gestalt, ja das Subjekt ins Spiel und verleiht der eigenen Schwärze potentiell geradezu metaphysisches Gewicht. Was will dieser Spiegel, was diese Schwärze von mir.
Das räumliche Moment, oder anders, dieses Moment der Verräumlichung des Bildes durch jene Tiefenstaffelung der Bildlagen (Graphitschichten), findet durch ein geradezu skulpturales Vorgehen Malýs noch eine deutliche Steigerung. Denn während Situation in square I sowie Situation in square III noch hauptsächlich bildhaft und flach erscheinen, verleiht Malý dem mittleren Bild, Situation in square II, eine explizit skulpturale Präsenz. In Situation in square II scheint der Rahmen geradezu um das Bild zu greifen, er trägt und stützt es in Form zweier dünner vertikaler Stahlrahmen. Situation in square II lässt hingegen explizit eine Bildunterkonstruktion erkennen, die beinahe architektonisch anmutet. Um die Ecke betrachtet bricht das Bild – durchaus auch bildontologisch – und wird wahrlich zu etwas anderem. Geradezu modellhaft und schematisch lässt der Blick von um die Ecke eine andere Lesart zu. Malý autonomisiert den Rahmen und macht ihn zur dreidimensionalen, mit Querstreben versehenen tragenden Konstruktion. Von vorn betrachtet noch monochromes sfumatoartiges Graubild, erweist sich Situation in square II so als kubisches Objekt, das, trotz oder vielleicht aufgrund seiner massiven Anmutung, latent von der Wand in den Raum zu drängen scheint.
Malý setzt den Betrachter einem Szenario ästhetischer Differenzen, nein, der Differenzierung aus. Das Ähnliche, scheinbar Gleiche, erweist sich mit Nichten als dasselbe. Malýs Materialverständnis ist dabei in keinster Weise auktorial. Er sucht nicht, sich auf eine unmittelbare Weise ins Material einzuschreiben. Der Künstler schafft vielmehr, durchaus exemplarisch und laborartig, Bedingungen, um die Materialien und sonstige prozessrelevanten Aspekte Werk für Werk eigens aufeinandertreffen zu lassen. Der künstlerische Akt ist hier also mehr das Schaffen und die Setzung eines Handlungsrahmens, die Schaffung eines je eigens abgesteckten künstlerischen Dispositivs.
Für das formal ungewöhnlichste der in Mimetic Deflection gezeigten Werke Line (2022) wählt Malý eine bildhafte Extremform. Das Bildgeviert zeigt sich hier drei Meter in die Höhe gezogen, sozusagen beinahe zur Linie verzerrt. Und dennoch behandelt der Künstler das steelenartige Objekt als erweiterten Bildträger, er baut es wie auch sonst als Schichtenbild auf, das dem Betrachter als spiegelnde Vertikale gegenübertritt. Die radikal verschmälerte Präsenz des Bildes vermittelt ein gewisses Unbehagen, eine Art Beklemmung. Hierin durchaus postminimalistisch erlangt das in die Höhe ragende Bildobjekt ein beinahe ausdruckshaftes Moment. Es tritt dem Betrachter, sozusagen überlebensgroß und dennoch „unterernährt“, als eine Gestalt gegenüber, es adressiert ihn körperlich als räumliches Pendant, was ihm beinahe die Rolle eines Protagonisten angedeihen lässt.
Břetislav Malý arbeitet mit Umschlagphänomenen von Zwei- und Dreidimensionalität. Er sucht nach jenem Moment, ab wann ein Wahrnehmungsgegenstand als Bild oder mehr als Objekt decodiert wird. Somit werden auch Hängung, Positionierung des Objekts, also die Inszenierung der Arbeit im Raum, zu wesentlichen Konstituenten der Semantik seiner Werke. Kunsthistorisch betrachtet könnte man bei Malý von einer Art postminimalistischer Befragung im und mit dem Medium der Malerei sprechen, auch von Prozesskunst, die sich dennoch werkhaft zu manifestieren sucht. Diese „Koordinaten“ einer Bildbestimmung, einer kunsthistorischen Einschätzung, sind jedoch allesamt wesentlich im Nachhinein hinzugefügte Deutungsmuster. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Malý dezidiert aus der Malerei kommt, erscheint es treffender, seinen anthraziten Bildobjekten nicht nur rezeptions-ästhetisch zu begegnen, sondern ihnen vom Tun und Handeln her, nachzuspüren.
Produktionsästhetisch gesehen Břetislav Malý erforscht das Bild, indem er seine grundlegenden Bestandteile, Farbe, Träger, Geviertform, aufgreift und modifiziert. Die Reduktion auf die wichtigsten, durchaus überschaubaren Parameter, ist dabei bewusst radikal. Je einfacher jene „Protagnisten“ der Bildgenese, desto exemplarischer und ontologisch signifikanter ihr „Interferenzgeschehen“. Malý stellt so gesehen auch nicht Ähnliches her, jedes seiner Bildobjekte lotet vielmehr auf ganz spezifische Weise, als ein System, die Balance von Objektform, Farbaufbau und Schichtung neu aus. Eben jene unterschiedliche Gewichtung der prozesshaften Agenzien lässt das Werk mehr dinghaft, ein anderes Mal bildhaft werden. Prozesshaft gelesen bildet auch diese eine bestimmte Fragestellung die Konstante in Malýs Werk: Was ist ein Bild? Was ein Objekt, eine Skulptur? Was, oder genauer gesagt, ab wann, ab welchem Zeitpunkt der Wahrnehmung, in welchem räumlichen und semiotischen Zusammenhang, wird (für uns) ein Bild, eine Skulptur als solche erkennbar? Die Frage zielt freilich nicht auf die essentialistische Grundannahme, dass dem Bild sein Bildhaftes per se inhärent oder vom Genie verliehen wäre, sondern letztlich auf eine im Wesentlichen kontextuelle, interpretatorische, durchaus auch wieder rezeptionsästhetische Sicht, denn das Bild ist hier nicht einfach, es will als solches erkannt, als solches verstanden werden.
Die wahrnehmungstheoretische Frage, wo sich das Ästhetische ereignet, – also ob am Bild, im Bild, vor dem Bild, im Raum, im Raum vor/angesichts des Bildes – mündet bei Malý schließlich in einer ontologischen, ja philoso-phischen Frage. Angesichts der beinahe verschwommen anmutenden matten Graphitbilder scheint sich der Betrachter im Sfumato aber auch den Tiefenlichtphänomenen des Bildes zu verlieren. Aber auch angesichts der stark spiegelnden Schwärze in Situation in square III vermag sich der Betrachter ob des eigenen Standpunkts verunsichert und herausgefordert fühlen.
Das Sehen, die Form des Sehens, die Malý dem Betrachter abverlangt, ist eben kein erkennendes, wieder-erkennendes, sondern eine Form das Bild durchdringendes, transzendierendes Sehen, das sich bei Weitem nicht bloß auf Visuelles reduzieren lässt. Das Changieren und Oszillieren der Bildschichten sowie deren Interferenz-geschehen wird schließlich zu einer Analogie der Unbestimmtheit des Sehens, des Mediums des Blicks per se. So betrachtet fordert Malý den Betrachter heraus, dem eigenen Sehen wie auch dem Wahrgenommenen im Sinne eines schlicht Gegebenen nicht blind zu vertrauen, sondern – und dies angesichts jedes einzelnen Bildes – sich jeweils neu auf den Wahrnehmungsprozess jenseits vertrauter Lesarten und Klassifizierungen einzulassen.
David Komary
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