Künstler: Marc Adrian
Die Ausstellung Latent Image zeigt drei frühe Kurzfilme des österreichischer Avantgardekünstlers und Filmemachers Marc Adrian. Eine breitere Repräsentation des äußerst vielfältigen Werkes Adrians, das u.a. abstrakte Grafiken, geometrische Hinterglasmontagen, Fotografien, Skulpturen und Filme umfasst, wird hierbei bewusst unterlassen. Latent Image fokussiert vielmehr auf ein spezifisches Moment in der künstlerischen Entwicklung Adrians Ende der 1950er-Jahre. Die ausgewählten Filme, die stark von der Zusammenarbeit mit Kurt Kren geprägt waren, weisen ein geradezu transitorisches Potential auf. In Schriftfilm, Text II und Black Movie II scheint ein Medium (Sprache/Schrift und Monochrombild) aus einem anderen (Film) heraus befragt und verstanden zu werden. Schon vor seinem „Eintritt“ ins Filmische bilden Bewegung und Dynamisierung bei Adrian, der ursprünglich aus der Bildhauerei kam, markante Merkmale seines Werks. Adrians mobileartigen kinetischen Plastiken wiesen, weitab einer statischen Idee von Skulptur, eine inhärent zeitliche Dimension auf. Die Kurzfilme zeichnen vor diesem Hintergrund betrachtet eine – heute würde man sagen – transmediale Bewegung von einem Genre oder Medium ins andere nach, genauer gesagt vom Realraum der kinetische Skulpturen in den dynamisierten Raum des Laufbilds.
Marc Adrian ging seinen künstlerischen Fragestellungen rigoros, oftmals jenseits vertrauter Kategorien und Gattungen nach. Das Medium bildet in seinem Denken kein Apriori, er fungiert vielmehr als Mittel visueller Kommunikation, das bestimmte Perzeptionsweisen herausfordert und dem Betrachter gewisse Kommunikationsangebote macht. Adrians Eintritt ins filmische Medium ist dabei von einer souveräner, ja radikalen Selbstverständlichkeit gekennzeichnet, sich weder auf das rein-abstrakte Material des Films noch auf Kategorien wie Abbildhaft/Abstrakt, Strukturell/Semiotisch oder Narrativ festzulegen und reduzieren zu lassen.
Für Adrian war der Umgang mit künstlerischem Material weder essentialistisch noch metaphysisch motiviert. Sinn und Wert eines Werks sind ihm nicht per se inhärent, sondern entfalten sich über Vorgänge visueller Wahrnehmung und Kommunikation. Der Betrachter bildet somit eine integrale und zentrale Größe. Erst im Wahrnehmungsvollzug, im Wahrnehmungshandeln, entfaltet das Werk seine spezifische Kommunikationsform und Semantik. Diese Fokussierung auf die Rezeption, auf das aktive Sehens und Erleben des Betrachters, bedingt bei Adrian ein Denken jenseits reduktiver Begriffe und Bezugsgrößen wie Medium oder Genre. Die drei gewählten frühen Filme Adrians muten auf besondere Weise unmittelbar, unprätentiös und experimentell an. Sie zeigen – bildhaft gesprochen – den Künstler beim Denken, beim Erkunden des zunehmend die Medienwirklichkeit prägenden Massenmediums Film.
Die radikal reduzierte und teils unmittelbar-rauhe Filmsprache der in Latent Image gezeigten Filme lässt sich durchaus der Nachkriegsavantgarde zuzuordnen. Adrian entwickelte die meisten seiner frühen Filme selbst. Dieser unmittelbare Zugriff auf das Material stellt ein wesentliches Merkmal der Filme dar, eine weitere Konstante bildet die strenge Strukturierung des filmischen Materials. In der Konstellation der drei Filme lassen sich schließlich dennoch zwei sehr unterschiedliche Ästhetiken erkennen. Wenngleich Adrian sich stets jenseits von Selbstbeschränkungen und Kategorien wie Sprachlich oder Nonverbal, Abstrakt oder Abbildend bewegt, stehen in Latent Image zwei Textfilme einem immersiven, rein abstrakten materialsprachlichen Film gegenüber.
Black Movie II, der cinematisch und wandfüllend den gesamten Hauptraum des Ausstellungshauses einnimmt, ist formal gesehen eine abstrakte, beinahe basale Materialbefragung des filmischen Mediums selbst. Monochrom-farbige Bildflächen, die aus Vorspannen unterschiedlicher 16mm-Filme stammen, werden entsprechend einer exakt entworfenen Anordnung gereiht und „geschaltet“. Der individuelle Gestaltungszugriff wird von einem Prinzip, einer zahlen- und logikbasierten Ordnung ausgehebelt und übernommen.
Der Betrachter sieht sich einem teils stroboskopartigem On/Off immersiver Farbflächen gegenüber, wobei die Strahlkraft der Farben, die an Intensität im Verlauf des Filmes zudem stetig zunehmen, den Projektionsraum zu einen beinahe turell’schen Farbraum werden lassen, der den Betrachter dabei gänzlich einfasst. Die komplexe Rhythmik der Bildfluktruation vermag den Rezipienten unterschwellig zu affizieren und lässt das anfangs noch eher ruhige visuell-abstrakte Geschehen in ein Szenario intensiv erfahrbarer körperlicher Resonanz münden.
Black Movie II erscheint geradezu abstrakt-tautologisch. Der Kurzfilm erzählt nichts, meint nichts, zeigt nichts. Nichts außer seine eigene abstrakte Präsenz – im zeitlichen Verlauf. Das Medium Film mit seinen Grundparametern Fläche, Farbe, Materialität (Textur) und Zeit scheint sich hier auf gewisse Weise selbst in den Spiegel zu schauen. Das wechselnde On und Off der strahlend-farbigen Flächen, die sich in einem gewissen Widerstreit mit den schwarzen Zwischenbildern zu befinden scheinen, vermittelt dem Betrachter eine abstrakt-sinnliche Information, die nicht unmittelbar dekodierbar ist, dennoch aber etwas zu vermitteln scheint, eine Grammatik, die wohl eher intuitiv und rational erfasst wird. Man könnte gar behaupten, dass sich jenseits des Films, jenseits des unmittelbar Beobachtbaren, eine Art inverser Bildlichkeit herausbildet, die sich im Zuge des projizierenden Sehens auf und zwischen die aktual wahrgenommenen Bilder legt. Der Betrachter vermag auf diese Weise subliminal dem eigenen mentalen Projektor bei seiner Arbeit zusehen zu können. Black Movie II entfaltet seine affizierende Wirkung nicht nur aufgrund der fulminant farbigen Flächen, die dem Betrachter staccatoartig gegenübertreten, sondern ebenso aufgrund der Wirkung dieses projektiven Potentials der immer wiederkehrenden Schwarzflächen, der filmischen Zwischenräume und bildlichen Absenzen. Black Movie II handelt somit gleichermaßen vom aktuellen Sehen wie auch vom Hineinsehen, vom Füllen piktoraler Lücken, er erzählt letztlich auch wesentlich vom Zusammenfügen und -nähen der anfänglich noch so dissoziiert erscheinenden monochromer Farbfeldpräsenzen.
Während Black Movie II immersiv und wandfüllend den Hauptraum der Galerie ausfüllt, werden die Textfilme Schriftfilm (1959/1960) und Text II (1964) jeweils auf einem Kontrollbildschirm im pavillonartigen Eingangsfoyer der Galerie Stadtpark gezeigt. Adrian stand zur Zeit der Entstehung von Schriftfilm und Text II in engem Kontakt mit der Wiener Gruppe, wenngleich die gezeigten Textfilm-Miniaturen wenig Unmittelbares mit deren literarisch-experimentellen Werken gemein haben. Denn Adrian griff auf das sprachliche Rohmaterial dezidiert mit filmischen Mitteln, mittels Schnitt, Montage und Bilddynamisierung zu. Die Montage basiert oftmals auf mathematischen Regeln und Reihungen, wodurch die Textbausteine einerseits semantisch entkoppelt werden, andererseits neu geschaltet und strukturiert werden und somit in einen eigenständigen, dem unmittelbaren Sprachgebrauch abgewandten ästhetischen Raum überführt werden.
In der filmischen Miniatur Text II (1964) sieht sich der Betrachter einem intensiven Wechselspiel von Semantisierung und Desemantisierung gegenüber. Adrian schafft durch die Kombinatorik aus je zwei simultan erscheinenden Buchstaben Paare wie an, do, er, is, ju, ou, su, zu, aa, db, en, io. Das Durchblättern der Lettern, das an horizontal rotierende Ziffernblätter analoger elektrischer Wecker denken lässt, schafft dabei Kombinationen, die einmal inhaltlich evokativ wirken, ein anderes Mal hingegen aussagelos bleiben. Wiederum andere Letternpaare lassen den Betrachter an die eine oder andere Fremdsprache denken. Der Film scheint geradezu den Vorgang mentaler Konstruktion von Sinn zu fokussieren und freizustellen. Sprachliche Sinnstiftung wird hier nicht nur als aktive Konstruktionsleistung erkennbar gemacht, die je entstandene kurzweilige Ordnung und inhaltliche Orientierung wird alsbald auch wieder infrage gestellt und entkräftet. Was bleibt, ist der suchende Blick selbst, der Versuch, Sinn aus den kurz auftauchenden, sich stetig neu kombinierenden Buchstaben zu synthetisieren. Angesichts des Widerstreits von abstrakt-schematischem Betrachten und lesend-erkennendem Sehen, der den Betrachter von Text II nicht zur Ruhe zu kommen lässt, sieht sich dieser mit den eigenen Routinen und Subroutinen von Erkennen und Dechiffrieren konfrontiert und mit diesen geradezu kurzgeschlossen.
Schriftfilm entfaltet im Gegensatz zu Text II einedeutlichnarrativere Dimension. Marc Adrian ordnet hier nicht einzelne Buchstaben nebeneinander an, sondern schafft ein Szenario inhaltlicher Aufladung durch die Koppelung von zwei übereinander geschriebenen Worten. In der oberen Bildhälfte werden Hauptwörter wie Mann, Frau, Stein geschaltet, während in der unteren Verben und Eigenschaftsworte wie rinnt, fällt etc. zu lesen sind. Während die Reihenfolge der Wörter einer genauen Ordnung unterliegt, ist die jeweilige Erscheinungsdauer frei gewählt. Die daraus resultierende komplexe Kombinatorik, die immer wieder andere Wortpaare entstehen lässt, verleiht dem Kurzfilm eine einerseits dadaistisch-poetische, andererseits aber durchaus erzählerisch-evokative, szenische Qualität. Der „mentale Projektor“ des Betrachters kann nicht anders, als Zusammenhänge herzustellen und kurzweilige Mikroszenerien wie „Stein rinnt“ oder „Wasser bricht“ zu generieren. Mathematische Ordnung, filmische Performanz und Sprache bilden hier einen ästhetischen Interferenzraum, der die einzelnen Ordnungsprinzipien der einzelnen Agenzien, die Verlässlichkeit von mathematischer Ordnung, Sprache und letztlich Film radikal infrage stellt und bricht.
Die in Schriftfilm evozierten Bildszenerien und Mikronarrative erscheinen aufgrund ihrer Flüchtigkeit und Kurzweiligkeit latent und fragil. Als Betrachter vermag man nicht zu sagen, ob eine einzelne Szene eher auf einem aktuellen Eindruck basiert oder eine Art Nachbild vorbeiziehender Worte und Begriffe darstellt, ob sich das entstandene Szenenbild also mehr der Simultanität zweier Worte oder doch eher der Wirkung eines zuvor erkannten Worts auf ein aktuell wahrgenommenes verdankt. Die Sinnstiftung, die Konstruktion von Sinnzusammenhängen, ereignet sich beinahe vorkognitiv, als würde das Denken und Semantisieren dem Sehen und Lesen vorauseilen. Das jeweilig evozierte Bild konstituiert sich dabei jenseits von Kategorien wie Abstrakt, Symbolisch oder Narrativ. Schriftfilm führt dabei jedoch nicht ein beliebiges Nebeneinander, sondern die Reziprozität und Verwobenheit dieser vermeintlichen Antagonismen vor Augen.
Ästhetische Wahrnehmung und visuelle Kommunikation lässt sich bei Adrian weder auf bloß Abstraktes, noch auf Sprachliches oder Nichtsprachliches reduzieren, Adrian changiert vielmehr zwischen jenen in Ästhetik und Kunstgeschichte oftmals so verbittert gegenüber stehenden Kategorien. Er setzte sich nicht nur über derlei ästhetische Selbstbeschränkungen mit radikaler Selbstverständlichkeit hinweg sondern entwickelte einen Kunstbegriff, der auf eine zu der dieser Zeit höchst aktuellen und zeitgenössischen Wahrnehmungsweise von Wirklichkeit gründet, nämlich auf der Interdependenz von ästhetischer Wahrnehmung und einer zunehmend medialisierten Wirklichkeit durch das Medium Film, zunehmend aber auch das Fernsehen. Wahrnehmung, Medien und Wirklichkeit lassen sich stets nur im Verbund und in Wechselwirkung miteinander verstehen, man kann sie nicht aber voneinander abkoppeln oder gar verabsolutieren. Das künstlerische Werk steht nach Adrians Verständnis auch niemals für sich allein, es „funktioniert“, indem es der Wahrnehmung selbst als grundsätzliches Medium der Kommunikation auf polysem herausfordernde Weise den Spiegel vorhält.
David Komary
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