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April 09

Text | Abbildungen


Künstler: Manuel Knapp (A), Tim Blechmann (USA)

Die Doppelveranstaltung sound alliances verbindet vier künstlerische Positionen, die sich mit ästhetischen Übertragungen zwischen akustischen und visuellen Mediensystemen auseinandersetzen. Störungen, Interferenzen, mediale Artefakte sowie visuelles und akustisches Rauschen (Noise) bilden die formalen Konstituenten der experimentellen Ästhetiken. Die Installationen interfering contours und iconophonic kommen durch die Zusammenarbeit je eines akustischen Künstlers (Tim Blechmann, Peter Kutin) mit einem/r visuellen Künstler/in (Manuel Knapp, Billy Roisz) zustande. Ziel der ästhetisch-experimentellen Anordnungen ist nicht die Gegenüberstellung, nicht die Abgrenzung eines ästhetischen Felds gegenüber dem anderen, sondern die Untersuchung der Interferenzen (interfering contours) sowie der wechselseitigen Überlagerungen und ästhetischen „Rückkoppelungen“ (iconophonic). Dabei sind nicht systemische Zusammenhänge und Affinitäten von Interesse, nicht die Möglichkeiten technischer Koppelungen von visuellen mit auditiven Mediensystemen, sondern rezeptions-ästhetische Übertragungen sowie Synthesen klanglicher und visueller Ereignisse seitens der BetrachterInnen/HörerInnen.

In interfering contours bildet Rauschen das ästhetisch verbindende Strukturelement: akustisch bei Tim Blechmann, visuell bei Manuel Knapp. In einer gemeinsamen Rauminstallation untersuchen die Künstler die ästhetischen Interferenzen der Medienkanäle vor dem Hintergrund des Rauschens als Feld geringster noch wahrnehmbarer Differenzen. Knapp und Blechmann beobachten das jeweilige Medium dabei in Selbstüberschreitung und im Selbstwiderspruch, und fokussieren dabei die Grenzen der Wahrnehmung, das gerade noch Sichtbare, das eben nicht mehr Hörbare. Experimentell konstituiert sich eine Ästhetik des vermeintlich Fehlerhaften, der Desinformation: des „Nicht-Klangs“, des „Nicht-Bilds“. Die einzelnen ästhetischen Kanäle, das Akustische einerseits, das Visuelle andererseits, lassen sich dabei nur schwer voneinander trennen, vielmehr konstituiert sich aus den Überlagerungen und Interferenzen ein Feld des Übergangs und des stetigen Wandels.

Manuel Knapp lässt zur Generierung seiner Animationen das visualisierende Programm geradezu gegen sich selbst arbeiten. Statt vorprogrammierte Effekte durchzuspielen, interessiert ihn der Moment, in dem sich das Programm als Simulationsmaschine selbst ad absurdum führt und gänzlich amimetische Sichtbarkeiten erzeugt. Knapp betreibt sozusagen eine Subversion des Programms, eine Subversion der Maschine. Das Ausreizen von Schwellenwerten sowie die daraus folgenden Dysfunktionen des Programms bilden dabei das eigentliche Material des Künstlers. Knapp visualisiert eine Durchdringung zweier mikroästhetischer visueller Strukturen, die auf ein virtuelles Objekt appliziert sind. Der virtuelle Kamerastandpunkt dringt in das Objekt, in die Strukturen soweit ein, dass ein objekthaft-verräumlichendes Sehen ausgeschlossen ist. Jenseits jeder vorstellbaren, euklidischen Räumlichkeit bildet sich ein Kontinuum permanenter, wenn auch teils kaum beobachtbarer Permutationen. Eine Zone komplexer Übergänge, die keinerlei formlogische Struktur oder orthogonale Ordnung erkennen lässt. In diesen Modulationen der Strukturen werden räumliche Momente nicht erkannt – sie werden hineingelesen.

Die Projektionsfläche der Animation Knapps ist in zwei komplementäre Zonen geteilt, eine schwarze und eine weiße. Beide Bereiche sind von dem sich stets in Wandel befindlichen, projizierten Strukturgefüge überzogen, wenn auch unterschiedliche Reflexionsanteile das Geschehen verschieden hell erscheinen lassen. Die Grenze zwischen den kontrastierenden Projektionsbereichen, die Abgrenzung der schwarzen zur dahinterliegenden weißen Wand, zeigt sich dabei jedoch trotz der faktisch klaren Trennung „fluid“ und durchlässig. Die vorbeiziehenden Strukturen bilden einen Vordergrund, der den schwarzen Projektionsgrund in das ästhetisch prozessuale Geschehen zu integrieren vermag und dadurch paradoxerweise zum Verschwinden zu bringen scheint. Die Flächen scheinen von einem komplementären, geradezu kontradiktorischen Verhältnis in ein osmotisches überführt. Knapp arbeitet sowohl innerbildlich, im Bereich der Mikroästhetik der generierten Strukturen, als auch auf der Ebene des Dispositivs, das heißt innerhalb des projizierten Bildgevierts, zwischen Schwarz und Weiß, entlang liminaler Wahrnehmungsgrenzen. Er betreibt geradezu die Unterminierung des Kontrastphänomens. Der Betrachter ist ob der vordergründig gezogenen Grenzen verunsichert. Der Schwarz-Weiß-Kontrast erscheint nicht als ontologisches, sondern als ästhetisches Moment, als Resultat einer Unterscheidung, die auf phänomenologische Weise getroffen, also gesehen und nicht erkannt wird.
 
Das verbindende Moment zwischen Schwarz und Weiß sowie zwischen visuell und auditiv evozierter Räumlichkeit verweist somit nicht auf Oberflächenphänomene, wie etwa das Vorbeiziehen nicht näher bestimmbarer Strukturen, es verweist vielmehr auf die Kontingenz der Wahrnehmung selbst, auf einen Bereich stetiger Unterscheidungen und Selektionen, einen Bereich, der nicht gegeben, sondern phänomenologisch individuell sowie soziokulturell kollektiv konstituiert wird. Die phänomenologische Komponente erfährt eine Potenzierung durch die Verschränkung und Überlagerung der visuellen Räumlichkeit mit dem auditiven, klangräumlichen Feld von Tim Blechmann. Mittels chaotischer Gleichungen entwickelt Blechmann ein Geräuschkontinuum geringster Veränderungen, das sich in der simultanen installativen Koppelung mit Knapps visuellen Strukturpermutationen zu einer Ästhetik der Komplexität verdichtet. Bild und Ton sind dabei nicht synchronisiert, sondern teilen eine grundsätzliche strukturelle Affinität zu Störung und Rauschen.             

Auch Blechmann bewegt sich entlang der Grenze, an der Information in Störung umzuschlagen scheint, und eröffnet damit einen Bereich kognitiver Unbestimmtheit. Es formiert sich ein Möglichkeitsraum, in dem mikrostrukturelle Komplexität von Rauschen nicht zu unterscheiden ist. Blechmann steuert sieben Lautsprecher mit auf chaotischen Gleichungen basierenden Signalen an. Jedes der sieben Klangsysteme beruht auf ähnlichen Parametern, die sich jedoch – je Lautsprecher unterschiedlich und teils gegenläufig – verschieden schnell autogenerativ verändern, sodass sich keine Sequenz des Zusammenklangs je wiederholt. Zu hören ist ein Rauschen und Knistern, dessen Gesetzmäßigkeit sich nicht klar bestimmen lässt. Die Modulationen und Tonhöhenveränderungen gehen dabei kontinuierlich, wenngleich sehr langsam vor sich. Die Veränderungen finden an der Schwelle des Wahrnehmbaren statt. Aufgrund der indirekten Beschallung wird das Raumorientierungsvermögen verunsichert, Kategorien wie Oben, Unten, besonders aber Vorne und Hinten werden aufgelöst. Wie Knapp keine Referenzen außerhalb des Wahrgenommenen selbst bietet, so finden sich auch bei Blechmann die Variationen und Durchführungen klanglicher „Desinformation“ ohne jede Fremdreferenz. Das Ausloten der Differenzen zwischen unterschiedlichen Formen und Eindrücken des Rauschens konfrontiert die BetrachterInnen bzw. HörerInnen auch hier mit der Bedingtheit der eigenen Wahrnehmung, sie befinden sich in einem sich ständig verändernden Klangraum, der zur Bewegung im Raum, zum „Raumhandeln“ auffordert, dem Begehen des Raums, um die sukzessiven wie simultanen Wahrnehmungssequenzen miteinander wie auch mit dem je neuen eigenen Standpunkt zu verbinden.

Knapp und Blechmann arbeiten sowohl einzeln wie in der Synthese entlang der Grenzen des Wahrnehmbaren. Sie untersuchen liminale Wahrnehmungsphänomene im Hinblick auf die Evokation eines Differenzraums, eines Bereichs stetiger Unterscheidungen und Selektionen einer hörenden Sehens bzw. eines sehenden/imaginierenden Hörens. Beide Künstler fokussieren in dieser experimentellen Zusammenarbeit die medialen Spezifika von akustischem und visuellem Rauschen bei gleichzeitiger Unterminierung der Systemgrenzen. In der intermedialen Verweisstruktur der evozierten Wahrnehmungen mit ihren impliziten Unbestimmtheitsstellen, das heißt in den unvorhersehbaren Synthesen bzw. Synästhesien, zeigt sich die Labilität der Wahrnehmung selbst. Die synthetisierte Klang-Bild-Räumlichkeit konstituiert sich dabei als offen topologischer Raum, als relationales Gefüge ohne feste Orientierungspunkte. In dieser Unbestimmtheit und Aleatorik gewinnt ästhetische Erfahrung neue Bedeutung.

 

David Komary