Künstler: Peter Kutin (A), Billy Roisz (A)
Die Doppelveranstaltung sound alliances verbindet vier künstlerische Positionen, die sich mit ästhetischen Übertragungen zwischen akustischen und visuellen Mediensystemen auseinandersetzen. Die Installationen interfering contours und iconophonic kommen durch die Zusammenarbeit je eines akustischen Künstlers (Blechmann, Kutin) mit einer/einem visuellen Künstler/in (Knapp, Roisz) zustande. Ziel der ästhetisch-experimentellen Anordnungen ist nicht die Gegenüberstellung, nicht die Abgrenzung eines ästhetischen Felds gegenüber dem anderen, sondern die Untersuchung der Interferenzen (interfering contours) sowie der wechselseitigen Überlagerungen und ästhetischen Rückkoppelungen (iconophonic).
In der Installation iconophonic fokussieren Peter Kutin und Billy Roisz die möglichen intermedialen Koppelungen von Bild und Ton. Das ästhetische Geschehen wird dabei von der Konvertierung akustischer in visuelle Daten und deren möglicher struktureller Verschaltung und Überlagerung bestimmt. Die KünstlerInnen inszenieren ein operativ geschlossenes audiovisuelles Mediensystem, suchen nach Umschlagphänomenen, Differenzen sowie möglichen Synthesen der vermeintlich „unabhängigen“ Medienkanäle, des Visuellen und Akustischen. Interessant sind nicht die Resultate der Maschinen oder Programme, sondern deren intrinsische Prozesse der Übertragung und Transkodierung, schlicht: die Konvertierbarkeit von Information über die spezifischen Mediengrenzen hinaus. Kutin und Roisz untersuchen die ästhetischen Möglichkeitsräume eines geschlossenes audiovisuellen Systems. Dabei geht es nicht allein um die technische Koppelung von visuellen und auditiven Signalen, sondern vielmehr um rezeptionsästhetische Übertragungen sowie die Synthesen klanglicher und visueller Ereignisse durch die BetrachterInnen/HörerInnen. Mehr als die Konvertierbarkeit von Bild und Ton sind die ikonophonischen Interferenzen von Interesse, die Kontingenz von wechselseitiger Verstärkung oder Abschwächung von visuellen und akustischen Ereignissen.
Peter Kutin strukturiert mit Hilfe eines einfachen, „selbstspielenden” Instruments ein computergeneriertes klangliches Geschehen: Ein Schwerkraftinfusionssystem – ein Infusionstropf, wie man ihn aus dem Krankenhaus kennt – bestimmt und reguliert das „Metrum“, indem ein Tropfen Wasser auf eine im Raum horizontal positionierte mit Aluminium bespannte Bildfläche fällt. Das Ventil, das die Frequenz bzw. das Metrum des Tropfvorgangs bestimmt, ist nur minimal geöffnet, die Bildung eines Tropfens benötigt etwa eineinhalb Minuten. Der Aufprall jedes Tropfens auf die Folie ist jedoch nicht bloß ein installatives, physisches Moment, sondern bewirkt zugleich eine deutlich wahrnehmbare Veränderung des Klangkontinuums. Die Aluminiumfolie ist mittels eines Kontaktmikrophons mit Kutins klanggenerativem System verbunden. Der Tropfen irritiert den Grundklang des Tonsystems: Das von ihm bedingte Signal löst ein vorprogrammiertes Pattern aus, das den Grundklang verzerrt und modifiziert. Nach etwa vierzig Sekunden verklingt die Irritation, das Klangsystem kehrt in seinen Ruhezustand, ein Kontinuum aus Sinustönen, zurück. Die Tonsignale/Signalfolgen Kutins sind zudem systemisch mit dem Videomischpult von Billy Roisz verbunden. Roisz übernimmt das akustische Signal Kutins und speist es direkt in ihr bildgenerierendes System ein. Das dadurch „zweckentfremdete“ Signal fungiert als Grundlage der video-graphischen Echtzeitkomposition. Die ikonische Struktur gleicht – in visueller Korrespondenz zum Tonsignal – einem heterogenen Liniengefüge und fluktuierenden Gitter. Roisz verändert das durch den Input generierte Material dabei nur geringfügig, vor allem die Farbe wird korrespondierend mit den durch die Tropfen bedingten impulshaften Tonhöhen- bzw. Klangfarbenmodulationen variiert. In Analogie zur zeitlichen Struktur der Signalfolgen Kutins entsteht ein vorbeiziehender visueller Strom.
Das so erzeugte Bildkontinuum wird auf zweierlei Art im Raum sichtbar bzw. beobachtbar: als kleine Projektion auf die Aluminiumfläche Kutins sowie simultan großflächig auf die Stirnwand des Ausstellungsraums projiziert. Das vermeintlich „eine“ Bild erfährt durch diese Doppelung eine Differenzierung. Im horizontal installierten Bildgeviert wird das Projektionsbild den physischen Unterbrechungen durch das Schwerkraftinfusionssystem Kutins ausgesetzt: Der Tropfen fällt ins Bild, hinterlässt Spuren, schreibt sich sozusagen ins Bild mit ein. Das System scheint sich dabei geradezu introvertiert, auf sich selbst bezogen, autopoietisch fortzuschreiben. Die Projektion auf die Wand hingegen eröffnet einen Bildraum immersiver Präsenz, sie vermag den Betrachter ins Geschehen einzubeziehen. In ihrer Referenzlosigkeit und dezidiert amimetischen Bildlichkeit evoziert sie einen imaginären Bildraum, der sich nach eigenen, nicht vorhersehbaren und nicht näher eruierbaren Gesetzmäßigkeiten fortzuschreiben scheint. Dem „einen“ Bild kommen hier unterschiedliche bildontologische Status zu, als Leinwandprojektion ist es Objekt im Raum, als Großformatbild ist es raumevozierendes Dispositiv.
Die Koppelung des visuellen mit dem akustischen Kanal sowie die Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Modalitäten eines Bilds läuft auf eine Infragestellung des dichotomen Verhältnisses von Innen und Außen hinaus. Die intermediale Koppelung von Roisz und Kutin führt zu Paradoxien der konventionellen Innen-Außen-Anordnung, die auf der Trennung von Wahrnehmendem und Umgebung beruht. Die BetrachterInnen bzw. HörerInnen sind zur permanenten Überprüfung ihrer Wahrnehmungen im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Raumposition aufgefordert. Das audiovisuelle System Kutins und Roisz’ erscheint dabei einerseits in sich geschlossen, autogenerativ, andererseits aber bedingt der Tropfen ein ästhetisches Ereignis, das das vermeintlich in sich geschlossene und rückgekoppelte System einer Irritation, einer Unterbrechung des autogenerativen Prozesses aussetzt. Phänomenologisch betrachtet zeigt sich die Verbindung der vermeintlich getrennten räumlichen Kategorien Innen und Außen in Form des dem Betrachter fernen, gesehenen Bildes wie des ihm nahen, imaginierten Bildes. Aber weder Deskription noch Immersion, weder kontrollierendes, verdinglichendes Sehen noch der eskapistische Trip nach Anderswo bilden das Thema, sondern die Simultanität zweier Medienkanäle und Wahrnehmungsmodalitäten, die in ihrer Divergenz und Differenz, aber auch in ihrer Koppelung mit dem Standpunkt der RezipientInnen, auf die aktive, wahrnehmungskonstituierende Rolle der BetrachterInnen bzw. HörerInnen verweisen.
Kutin und Roisz befragen die Medienkanäle Bild und Ton ob ihrer Differenzen, mehr noch ob ihrer Interferenzen. Die KünstlerInnen suchen nach Ungereimtheiten, nach ästhetischen Momenten, die auf das verweisen, was in der Übertragung verlorengeht. Die Hermetik der medialen Teilsysteme sowie die technologische Einfachheit der analogen Übertragung bzw. Übersetzung des Soundsignals in visuelle Daten stehen dabei im Gegensatz zur Komplexität der ästhetischen Ereignisse: der synästhetischen Interferenzen und perzeptiven Verbindungen zwischen Bild und Ton im Wahrnehmungsvollzug. Beide ästhetischen Praktiken erzeugen – aufgrund der simultan-sukzessiven Wechselwirkung von auditiven und visuellen Wahrnehmungsereignissen – Unbestimmtheitsstellen in den perzeptiven Abläufen und Wahrnehmungslogiken. Jenseits von räumlicher Euklidik formiert sich eine abstrakte, eine imaginäre Bildräumlichkeit, die zwar stets auf die Logiken der programminternen Routinen verweist, andererseits aber einen Wahrnehmungsraum eröffnet, der den BetrachterInnen ihr eigenes Raumhandeln, das Hervorbringen von Räumlichkeit im und durch den Wahrnehmungsvollzug vor Augen führt. Die nonlineare Logik des Instantanen und der Simultanität in diesem audiovisuellen, imaginären Bildraumkontinuum bricht zur Gänze mit der kausalen Logik zugunsten einer Ästhetik medialer Resonanzen.
David Komary
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