Künstler: Josef Dabernig
Die Ausstellung Equally Not Nothing von Josef Dabernig im Hauptraum der Galerie Stadtpark zeigt eine Konstellation von achtzehn aus Einzelbildern zusammengesetzten Panoramen, die einen Auszug aus Dabernigs Panoramensammlung darstellt. Die fotografierten Orte sind zumeist in die Jahre gekommene Stadien, die weniger als Veranstaltungsorte befragt werden, denn in ihrer Funktion als „Sehmaschinen“, als Dispositive, die den Blick wie auch den Körper der BetrachterInnen choreografieren. Der Künstler ist nicht am Event, sondern am nicht eingelösten Spektakel interessiert, seine Panoramen sind im Wesentlichen Anti-Sportbilder, sie zeigen nüchterne Bilder vernachlässigter Schauplätze, oder Projektionsorte, wie Dabernig sie nennt.
Josef Dabernig greift in seinen Ausstellungen oftmals auf Elemente der bestehenden Infrastruktur des Ausstellungsortes zurück. In Equally Not Nothing bedient er sich eines in der Galerie Stadtpark bereits mehrmals verwendeten Vitrinengestells als eine Art Readymade. Er lässt nach dieser Vorlage acht weitere Gestelle herstellen, aus denen er ein Gefüge aus drei mal drei, rasterartig „im Blocksatz“ aufgestellten Tischen formt. In ähnlicher Weise greift er auch in seinen Fotografien gerne auf Standardformate wie im gegebenen Fall 13 x 18 und 10 x 15 cm zurück. Seine Panoramen zeigen sich dem Betrachter nicht als Bildganzes in horizontaler Ausdehnung, sondern aus Einzelbildern im Hoch- oder Querformat zusammengesetzt. Der Betrachter wird herausgefordert, das Gesehene zu ergänzen, die Bilder im Sinne einer Suture „zusammen zu nähen“ und zu einem kohärenten Bild zu synthetisieren. Das einzelne Panorama wird vom Betrachter weniger gesehen als gelesen und decodiert. Dabei wird das panoramatische Bildplaisir aus gesichertem, erhöhtem Blickpunkt bewusst gestört. Auf diese Weise tritt zunehmend Strukturelles, die Anatomie der schauplatzähnlichen und bühnenartigen Anlagen in den Vordergrund.
In Equally Not Nothing wird der Rezipient nicht nur mit gesplitteten Panoramen konfrontiert, die neun Tische, besser gesagt Tableaus, zeigen zudem je zwei Panoramen, das obere im Hoch-, das untere im Querformat. Das mittels Kadrierung und Sequenzierung zerlegte Panorama wird mitunter durch eine zweite Bildserie ergänzt und erweitert, die jeweils von einem anderen Standpunkt als eine Art Gegenschuss aufgenommen wurde. In Equally Not Nothing finden sich demnach also zu einzelnen Orten mehrere Panoramen aus unterschiedlicher Perspektive. Die Souveränität des einen Blickpunktes, um den sich für gewöhnlich das Panorama aufspannt und von dem aus es konsumiert werden kann, wird dabei radikal infrage gestellt.
Sowohl die Mikrostruktur der kaderartig zusammengesetzten Einzelpanoramen als auch die rauminstallative Metastruktur der im Raster aufgestellten Tischtableaus basiert auf Sequenzierung und Rhythmisierung des Blicks. Beide Strukturen lassen sich potentiell erweitern, was sie perzeptiv zu einer Art All-Over werden lässt. Diese offene, imaginär erweiterbare Struktur verweist auf einen Raum jenseits der Abbildung. Doch nicht das Stadion und das Panoramatische bilden Dabernigs Reflexionsgegenstand, sondern der Blick per se, konkreter das Verhältnis von Bild, Blick, Raum und Körper. Die Beziehung dieser Agenzien wird räumlich und soziopolitisch über Dispositive organisiert. Das Dispositiv fungiert dabei als räumliche Anordnung, die dem Körper, dem Subjekt, einen bestimmten Ort der Betrachtung zuweist. Es verspricht eine gewisse Autorität des Betrachters über das Gesehene, Beobachtete. Doch diese visuelle Verfügbarkeit und suggerierte Freiheit ist stets eine arrangierte, der Körper ein gelenkter, der Blick ein begrenzter. Dabernig sucht die Aufmerksamkeit auf ebendiese Subroutinen des Dispositivs zu lenken, wobei der eigene Blick als Bestandteil dieses inszenierten Spiels der Blicke erkennbar wird.
Dabernigs jahrelange Beschäftigung mit Panoramen lässt sich einerseits blicktheoretisch interpretieren, andererseits aber auch prozess- und ritualhaft verstehen. Dabernig „sammelt“ Panoramen. Wo immer er hinreist, versucht er, ein oder mehrere Panoramen „mitzunehmen“. Diese Tätigkeit des Sammelns steht in Verbindung mit zwei anderen Motiven, wobei dem zweiten etwas tiefgründig Epistemisches anhaftet. Einerseits birgt das Sammeln eine libidinöse Dimension und stellt eine Form von Aneignung dar, andererseits ist es für Dabernig auch eine Form des Verstehens, die sich nicht nur auf den einzelnen Schauplatz bezieht, sondern auf Ort und Raum (Raumordnung) per se. Dabernig „sammelt“ verlassen und verwahrlost anmutende Orte, er interessiert sich weniger für das perfekte Stadion oder das imposante Blickdispositiv, sondern für Orte, die sich, wie der Künstler es nennt, in Transformation befinden. Es zieht ihn an die Ränder der Stadt, dorthin, wo das Ungeordnete ins Geordnete und Strukturierte einbricht. Oftmals nimmt er dabei modernistische Architekturen in den Blick, Symbole einer auf Fortschritt und eine bessere Zukunft ausgerichteten Ideologie. Mit leisem, ironischem Unterton und dennoch nicht wertend lenkt er die Aufmerksamkeit auf die Intention, letztlich auch die politische Implikation dieser schauplatzartigen Blickdispositve.
Das leere Stadion fungiert für Dabernig als Sinnbild des Formideals einer zentral organisierten Raumstruktur, die nicht bloß dem Spiel, sondern wesentlich dem Zur-Schau-Stellen dient. Dabernig interessierte sich schon früh für, wie er es nennt, Formen produktiver Leere. „Die Leere“, so Dabernig, „steht etwa auch für Universalität und Voraussetzungslosigkeit als konstituierende Begriffe, wie sie sich aus dem frühen Philosophieunterricht ein für alle Mal eigebrannt haben“. Das leere Stadion ist im Umkehrschluss auch Projektionsfläche mit ereignishaftem und ludischem Potential. Dabernigs frühe Faszination für Fußball ging später in das Interesse für Stadien über, oder allgemeiner, ins Interesse für gesellschaftlich etablierte Schauplätze, es weist eine nach innen gekehrte Seite auf, die sich im Sammeln, Ordnen und Verwalten der Panoramen widerspiegelt, aber auch eine nach außen orientierte, die den gesellschaftlichen und öffentlichen Status des Stadions, seine soziologische bishin zur politischen Dimension reflektiert.
Wird man sich der blicktheoretischen Aspekte, der Reflexion von Raum, Raumordnung und Dispositiv gewahr, so rückt das vordergründige Motiv des Spiels in den Hintergrund. Als eigentliches Thema von Dabernig kristallisieren sich anstelle dessen Blick und Perspektivierung heraus, also im Wesentlichen immaterielle, abstrakte Größen. Periodisch finden sich auch andere Orte in Dabernigs Panoramen, etwa die Rückansicht einer Tribüne – eigentlich ein Parkplatz – oder eine Hotellobby. Gemeinsam ist diesen Orten, dass sie Schauplätze der Konsumgesellschaft darstellen. Dabernig fotografiert diese Orte jedoch nicht als architektonische Statussymbole oder wegen ihrer Imposanz, er bettet sie in seine Bilddramaturgie beinahe „toter“ Orte ein. Die Brüchigkeit der verfallenden Fassade dieser Orte lässt dabei die Struktur, das Skelett des Schauplatzes, der Arena oder des Stadions sichtbar werden, sodass das architektonische Bemühen um die Lenkung des Blicke, der Anordnung der Körper, ja der Choreografie der Massen lesbar werden. Ob Arena, Stadion, Sporthalle oder auch Warenhaus, Panorama, Theater – all das sind zentrisch organisierte Dispositive, die wesentlich dazu dienen, Gruppen sozial zu organisieren. Wenngleich Dabernig die von ihm portraitierten Orte und Plätze desolat und verfallen, die Blickmaschinen somit weitestgehend außer Funktion zeigt, so lässt er sie dennoch als widerständig und in ihrem eigenen Charme geradezu würdevoll erscheinen, als hätten sie die ihnen auferlegte Funktion langsam abgestoßen und der gesellschaftlichen Inbesitznahme getrotzt.
Dabernig bewegt sich in Feld aus Affirmation und nahezu Übererfüllung selbstauferlegter Routinen und Prozesse. Er geht in seiner Arbeit nicht selten von persönlichen Ereignissen und Tätigkeiten aus, die dokumentiert, gezählt, sortiert, gesammelt und zunehmend verwaltet werden, zum Beispiel in Form exakter Aufzeichnung des täglichen Zigarettenkonsums oder des Benzinverbrauchs. Auch das „Sammeln“ von Panoramen lässt sich in diese Logik der Selbstverwaltung einreihen. Schreiben, Zählen, Sortieren und Sammeln stellen im Wesentlichen Instrumente dar, das Subjektive, Emotionale und Situative, dem Dabernig stets misstraut, konsequent auf Abstand zu halten. In seinen Panoramen geht es weniger darum, etwas ins Bild zu setzen, etwas zu zeigen, als mit dem Bild zu handeln, das einzelne Bild in ein prozesshaftes Tun einzugliedern. Der „Gebrauch“, die Verwaltung der Bilder, wird dabei zu einer eigenwilligen, selbstbestimmten und autonomen Reflexionsform – über die Moderne, die visuelle Kultur und ihre konsumistischen Charakteristika. Dabernig stellt somit nicht nur Fragen nach dem Raum, der Raumordnung und der Architektur, sondern auch nach der Ökonomie des Raumes. Als „Bildgegenstand“ werden somit massenpsychologisch wirksame Strukturen und deren in Gebäude gegossenen Formen erkennbar.
Medientypologisch ist das Panorama zwischen Fotografie und Film angesiedelt. Es ist, analog zur Fotografie, zwar sehr wohl noch Einzelbild, es gibt dem Betrachter aber aufgrund seiner horizontalen Ausdehnung eine Art Leserichtung und eine Perzeptionsdauer vor. Ein weiterer blickgeschichtlicher Bezugspunkt bei Dabernig lässt sich im Dispositv des Zugfahrens erkennen. Das Zugfahren dynamisiert den Blick, es führt vom Einzelbild hin zur Bildfolge, zum Bildkontinuum und stellt eine Art Prämedium des Filmischen dar. Die medienperzeptiven Gemeinsamkeiten von Panorama, Film und Zugfahren bilden in Equally Not Nothing auch die kuratorische Grundlage für die Verbindung und Gegenüberstellung von Dabernigs Fotopanoramen mit dem im Foyer der Galerie Stadtpark gezeigten kammerspielartigen Film Wars, einem frühen 16mm-Film von Dabernig aus dem Jahr 2001. Der Künstler verwendet hier anspielungsreich Zug und Zugfahren als Blickmaschine, die in direkter Verbindung zum cinematischen Blick steht. Das Dispositv des Zuges wird in Wars jedoch subtil und ironisch dekonstruiert, er wird zur bloßen langgestreckten und guckkastenartigen Bühne rudimentärer szenischer Abläufe und Ereignisse. Das Zugabteil, konkreter, der Speisewagen des Langstreckenzuges von Krakau nach Warschau und retour, wird zum Schauplatz einer nonverbalen, semisurrealen Ereignisfolge: Wortlos, gestenarm, ja geradezu gleichgültig gehen drei Zugangestellte ihren Tätigkeiten nach. Das Reinigen und Aufräumen des besucherleeren, also „unbenutzten“ Speisewagens wird schleichend zu etwas Zwingendem, geradezu Obsessiven. Die unnötig erscheinenden Reinigungstätigkeiten scheinen mehr einem Beschäftigungszwang oder einer nicht nachvollziehbaren Form von Eskapismus der latent frustriert wirkenden Protagonisten zu dienen. Das immer obsessivere Putzen und Wischen wird letztlich zum anarchischen Akt, als würde das Irrationale in den rigiden Arbeitsalltag einbrechen. Vielleicht erinnern Handlungen und Verhalten der Angestellten nicht von ungefähr an Formen des Hospitalismus, an Auswirkungen eines entmenschlichenden Systems, das hier, repräsentiert durch ein heute bereits retrochic anmutendes Zuginterieur, nur noch „als leere Hülle“, als Versatzstück und Zeuge einer überkommenen Zeit und ihrer Ideologie, durch die Landschaft zieht.
Dabernigs Film Wars kann auch unterschwellig technik- und modernekritisch gelesen werden. Er verweigert den beschleunigten und rastlosen Blick. Wars ist, wie die meisten seiner Filme, eigentlich ein Anti-Film, sein Panorama eigentlich ein Anti-Bild. Dabernig betreibt eine Form subtiler Bildkritik und nimmt stets Distanz zu Formen kollektiven visuellen Konsums, also zu visuellen Massenmedien wie einst Panorama oder Film ein. Er unterwandert die Logik von Bildregien und -dispositiven, die schon in ihrer Grundintention kritische Distanznahme und Reflexion zu unterbinden versuchen, ob durch Ruhigstellung des Körpers zugunsten der visuellen Immersion im Kino oder durch die entsubjektivierende, herdenartige Eingliederung des Einzelnen zugunsten der Masseneuphoriserung in Arena oder Stadion.
Es ist nur konsequent, diese Systemkritik Dabernigs nicht nur im „Material“ zu suchen, das heißt in seiner Beschäftigung mit Bild, Blick, Körper, Dispositiv, Architektur und Raum. Auch als Künstler innerhalb des Systems Kunst positioniert er sich stets jenseits von Markt und Moden. Die Reflexion gesellschaftlicher Strukturen und Mechanismen findet sich nicht nur arbeits- und werkinhärent wieder, als nonverbale Kritik bestehender Bild- und Blickdispositive bis hin zur Hegemoniekritik, sie widerspiegelt sich ebenso im Fragen und Zweifeln am eigenen künstlerischen Subjekt- und Identitätsentwurf, in der Frage nach dem Selbst im Spannungsfeld zum Kollektiven und Gesellschaftlichen. Denn die weitestgehende Unabhängigkeit von Superstrukturen und kollektiven Dynamiken ist für Dabernigs ästhetische Praxis grundlegend und artikuliert sich zwischen kritischer Distanznahme und konsequenter Verweigerung. Das Verhältnis zu Technik, Fortschritt, aber auch zur Moderne bleibt bei Dabernig ein gespaltenes. Diese Ambivalenz bildet die Folie vieler seiner Arbeiten. Wenn auch niemals offen oder didaktisch formuliert, wird die Allmachtsfantasie und der radikale Gestaltungswille der Moderne bis hin ins alltägliche Leben einer Kritik unterzogen, von der die eigene Rolle und das eigene künstlerische Unterfangen nicht verschont bleiben.
David Komary
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