KünstlerInnen: Miriam Bajtala, Annja Krautgasser
Denn das Bewegungsbild reproduziert keine Welt, sondern konstituiert eine autonome, mittelpunktslose Welt, erzeugt Brüche und Disproportionen und richtet sich an einen Zuschauer, der selbst nicht mehr Zentrum der eigenen Wahrnehmung ist. Gilles Deleuze
Die Ausstellung asymmetrical focus verhandelt, den raumtheoretischen Überlegungen der Ausstellungen impermanent geometry (2008) und interfering contours (2009) folgend, die Frage nach der Konstitution von Räumlichkeit im Kontext des Medialen, genauer: im Kontext des laufbildbasierten filmischen Bildes. Zwar fokussieren Miriam Bajtala und Annja Krautgasser die Spezifika des Filmischen, ihre performativen Mediendekonstruktionen lassen sich jedoch nicht auf eine technisch/mechanische Ebene reduzieren. Die Künstlerinnen untersuchen vielmehr grundlegende Konstituenten der kinematografischen Ästhetik: die Bewegung und das Intervall. Sie fragen nicht nur, wie filmische Bilder Zeit und Raum kondensieren und synthetisieren, fragmentieren und dissoziieren, sondern untersuchen eine Dimension des Räumlichen, die sich aus der zeitlichen Fragmentierung (Bajtala) sowie der Beschleunigung des Filmbilds (Krautgasser) ableiten lässt. Es ist gerade das Intervall zwischen den Bildern, der Bruch in der piktoral-temporalen Repräsentation, der eine amimetische Räumlichkeit generiert. Dieser Raum medialer Falten und Brüche rekurriert weder auf einen Raum vor noch hinter der Kamera, noch ist er ein Raum, der sich aus der Kinästhese ableiten ließe. Wenn auch eine phänomenologische Komponente stets eine bestimmende Rolle in der räumlichen Diegese spielt – die Position des Betrachters, sein Verhältnis zu den Arbeiten im Raum – so geht es hier jedoch vor allem um jenen Raum flüchtiger Phänomene, der sich aus medienimmanenten Unbestimmtheitsstellen konstituiert, um den Raum im Spannungsverhältnis von physisch-aktualen und diegetisch-imaginärem Raum.
Die Künstlerinnen destabilisieren in ihren Analysen filmischer Bildlichkeit jede Form geometraler und optischer Fokussierung. Das Bildzentrum wie auch der Kamerastandpunkt scheint dezentriert und unbestimmbar. Während Bajtala den Kamerastandpunkt filmdiegetisch moduliert und dynamisiert, entzieht Krautgasser dem Betrachter durch die Beschleunigung der Kamera jegliche Gewissheit. Beide Künstlerinnen unterwandern das skopische Blickregime, den zentralperspektivischen bzw. panoramatisch/panoptischen Blick, der das Subjekt als Zentrum der Wahrnehmung und zugleich als ideologisches Zentrum einer auktorialen Weise der Welterzeugung setzt. Die Synthese zu einem homogenen Raum erscheint verunmöglicht, der Betrachter wird stattdessen mit asymmetrischen, dezentrierten und destabilisierten Phänomenen piktoraler Beschleunigung konfrontiert. Anstatt von einem nichtzentrierten Zustand der Dinge zur zentrierten Wahrnehmung zu kommen, arbeiten die Künstlerinnen, wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise, mit einer Ästhetik kamerabasierter Beschleunigung, um sich einem nichtzentrierten Zustand der Dinge anzunähern. (1)
Die Kamera wird zu einem „Zentrum der Indeterminiertheit“ (2): Beide Künstlerinnen stellen die apparative Vorrichtung der Kamera in Beziehung zum eigenen Sehen, zum eigenen Körper. Das Medium, die Kamera, fungiert dabei keinesfalls als Verlängerung oder als Prothese des Blicks. Das Filmbild/Videobild wie auch die Kamera spiegeln vielmehr – im Sinn einer Medientechnik, das heißt als Schnittstelle von Bild, Blick und Subjekt – ein spezifisches Verhältnis von Bildgenese und Bildgebrauch wider, das sich stets in einem soziokulturellen Kontext konstituiert. Wenn der Blick stets ein medialisierter war und ist, so zeigt sich der Blick mittels Kamera, also das Filmische, als eine Medientechnik, die dem Subjekt auch stets einen – medial beschrifteten – Ort zuweist, von dem aus es sich artikuliert.
Annja Krautgassers Video around and around ist – zumindest auf den ersten Blick – von einfacher Struktur. Die Künstlerin nimmt den sie umgebenden Raum, die Landschaft einer Insel, von verschiedenen Punkten entlang der Küstenlinie mit der Kamera auf. Sie dreht sich dabei um die eigene Achse, wodurch das Bild als bewegter Bildstrom entlang des Horizonts erscheint. Krautgasser vermisst die Grenze der Küste somit auf zweierlei Arten, einmal physisch, durch das Abschreiten der Küstenlinie, um die Begrenzung des topografischen Raums der Insel zu erfassen, das andere Mal mittels einer rotierenden Bewegung der Kamera, um die Grenze des apparativen Systems auszuloten: Wie weit reicht der Blick mittels Kamera, wo endet die Sichtbarkeit dieses aufgerüsteten, skopischen Blicks? Aus den beiden unterschiedlichen Aufnahmemodalitäten bildet Krautgasser einen Film, der einer panoptischen Logik zu folgend scheint. Resultat dieser dynamisierten, rotierenden Form der Betrachtung ist kein ruhiges, zentriertes, gar kontemplatives Landschaftsbild. Vielmehr bildet sich ein visuell-kontingenter Bildstrom, basierend auf der Bewegung der Künstlerin um die eigene Achse. Dieser performative Blickvorgang, durchexerziert an einer „natürlichen“ Umgebung, führt zur permanenten Verschiebung des Bildzentrums. Die Bildmitte wird dabei zur asymmetrischen, deterritorialisierten Leerstelle, die das Gegenteil des skopischen Bilcks, den Ausfall von Sichtbarkeit, markiert. Das klare, zentrierte Bild und das blickgeschichtlich ihm zugehörige Weltbild, das das Subjekt als Zentrum des Konstruktionsvorgangs betrachtet, wird aufgelöst. Stattdessen wird die Landschaft, der Umgebungsraum, zum Schema, zur dynamisierten Spur mehr einer Suchbewegung denn eines Aufzeichnungsprozesses oder eines erkennenden Blicks.
Durch das Tempo der Rotationsbewegung wird die Schwelle des Wahrnehmbaren überschritten, das Lesen des Bildes verunmöglicht. Die Landschaften werden austauschbar und erscheinen als insiginifikante Spuren der beschleunigten Wahrnehmung. Krautgasser verwendet das Medium also mehr als ein Medium der Verzeitlichung, der beschleunigten Verzeitlichung, die sich aus dem performativen Aufnahmeprozess ableitet. Sie zeigt keinen Raum, sondern verweist auf einen Raum des Handelns, in dem das Filmische sich zwischen Performanz, also Körperhandeln im Raum, Dispositiv und Wahrnehmung konstituiert. Der Körper fungiert mehr als Zentrum der Bewegung denn als Zentrum der Wahrnehmung. In dieser Engführung und Koppelung von Kamera, Blick und Körper zeigt sich das Medium nicht als Prothese, die ein Äußeres abzubilden vermag, sondern als ein Knotenpunkt medialen Transits. Dieses „Zentrum“ ist nicht das eines erhabenen, zentralperspektivischen oder panoramatischen Blickregimes, das Subjekt ist kein cartesianisch-wissendes, sondern ein in Sichtbarkeiten suchendes.
Around and around oszilliert somit zwischen Bild und Sichtbarem, changiert zwischen Defokussierung und Ephemerisierung. Das Sehen ist dabei vom Visieren zum Visuellen (3), von der Bildeinheit zum Bildstrom übergegangen. Das filmische Bild formiert sich als ein auf Dauer basierendes und Dauer evozierendes Zeitbild. Es unterliegt nicht mehr der Unterordnung der Zeit unter die Bewegung, es führt vielmehr zu einer direkten Erfahrung der Zeit im Sinne einer Dauer. Das Bild ist so gesehen nicht Raumbild, sondern zeitliche Spur, eine Temporalisierung von Räumlichkeit. Es bildet nicht allein ein Medium des Zeitlichen, weil es Zeit moduliert, sondern weil es in der Dauer sich konstituiert.
Miriam Bajtalas Doppelprojektion Ohne Schatten zeigt eine filmische Szene auf zwei unterschiedliche Weisen. Eine Frau sitzt, geradezu modellhaft, in einem leeren Fabrikgebäude und zündet gegen Ende der Szene ein Feuerzeug an. Eine einfache Handlung, die einem Platzhalter für eine mögliche filmische Handlung gleicht. Bajtala fährt beim Filmen der Szene mit der Kamera von vierundfünfzig Punkten im Raum, die kreisförmig um den Schauplatz angeordnet sind, auf diesen zu. Im Anschluss verarbeitet sie das aufgenommene Filmmaterial auf zwei unterschiedliche Arten. In der ersten Version, trigger, verwendet Bajtala die Bilder analog zur Aufnahmefolge: Eine Kamerafahrt folgt der nächsten, Räumliches wird schlicht in eine zeitliche Folge übertragen. In der zweiten Version, satellite me, bricht die Künstlerin die ursprüngliche Bildfolge der Aufnahmen auf, sie reiht die jeweils ersten Einzelbilder der vierundfünfzig Filme aneinander, darauf folgt die Verkettung der je zweiten Bilder usw., woraus eine spiralförmige, sich auf den Szenenmittelpunkt zubewegende „Kamerafahrt“ resultiert. Die von diesem „neuen“ Film evozierte Zeitlichkeit und Räumlichkeit basiert einzig auf der Dekomposition des originalen, filmisch notierten Raumzeitgefüges und der neuen Synthese. Im Unterschied zu trigger kommt es hier zu einer Verräumlichung des Zeitlichen, einem Kontinuum von Raumfalten des Zeitlichen.
Die Protagonistin des Films scheint in diesem Prozess der synthetischen Kamerabewegung stillgestellt, ihre Handlung zum verräumlichten Bild, zur Skulptur fixiert. Einzig der Kamerapunkt scheint bewegt, zum eigentlich Handelnden wird der Blick. Damit verkehrt Bajtala das Verhältnis von Subjekt und Objekt der Aufnahme, sie generiert ein invertiertes filmisches Dispositiv, in dem sich Agens und Movens verkehren.
Ohne Schatten fokussiert nicht das Entweder-oder der Modalitäten möglicher Bildreihung, sondern einen Bereich, den die Kamera nicht zu fassen, nicht aufzuzeichnen vermag. Mit der simultanen Projektion der Filme schafft Bajtala einen Raum zwischen raumzeitlicher (trigger) um zeiträumlicher Bildlichkeit (satellite me). Sie konzentriert sich auf jene Zwischenräume, jenen nicht medialisierbaren Raum zwischen den Bildern, der auf der medialen Kodierung des Sichtbaren einerseits und der Trägheit des Auges andererseits basiert, jenen Bereich, in dem die Bilder der beiden Projektionen miteinander zu tun haben und doch nicht zur Deckung kommen. Bajtala untersucht jenes Moment, in dem die Konstitution eines homogenen Raums scheitert. Die vertrauten Raumkonstitutionsschemata der BetrachterInnen werden von den zwischen den simultanen Projektionen entstehenden Interferenzen in Frage gestellt. Raum ist hier weder vor noch hinter der Kamera gegeben, er scheint aus einer chronopiktoralen Reihung zusammengesetzt, also reine Konstruktion zu sein. Letztlich ist es keiner der beiden Filme, der über die fragmenthafte Räumlichkeit Aufschluss zu geben vermag, sondern der Betrachter selbst, seine Ergänzungsleistung und sein Raumhandeln, aktual-physisches wie zugleich imaginär-diegetisches. Dieser durch den Betrachter hervorgebrachte imaginäre Raum markiert einen Bereich der Unbestimmtheit, der nicht auf Ungenauigkeit oder Zufall beruht, sondern auf der Kontingenz der Intervalls selbst, auf der medialen Logik der Reihung der Bilder und ihren impliziten Leerstellen.
Mit diesen sehr unterschiedlichen Formen dezentrierender und defokussierender Bildgenese bei Krautgasser und Bajtala werden zentralperspektivische (Krautgasser) und diegetische (Bajtala) Raumkonstruktion einander gegenübergestellt. Das medienreflexive Moment in beiden Arbeiten gilt jedoch nicht allein dem Sehen, dem Blick bzw. der Frage nach dem Unvermögen des Blicks. Die Künstlerinnen verweisen vielmehr auf eine grundsätzlich gesellschaftlich und stets politisch kodierte Form der Wahrnehmung. Denn die Frage nach einem Raummodell ist zugleich stets die Frage nach der hegemonialen Raumordung, letzten Endes nach dem Weltbild, das der, das jeder Wahrnehmung vorangeht. Es geht nicht bloß um Sichtbarkeit, sondern um eine Ordnung der Dinge via Blick, um ein Blickregime, das die Festlegung von Distanzen und Verfahren des Ein- und Ausschlusses reguliert.
Ein tradierter, euklidischer Raumbegriff, der Raum als unendliche, homogene, dreidimensionale Ausdehnung entwirft, scheint hier als Modell der Raumbefragung obsolet. Das Zentrum des Blicks, der umgekehrte Fluchtpunkt des zentralperspektivischen Dispositivs, fungiert nicht weiter als Analogon eines Subjekts, das die Welt projektiv vor sich zu entwerfen vermag. Vielmehr generieren Krautgasser und Bajtala ein kontingent veränderliches Wahrnehmungs- und Raumbild, das die Diegese durch den Betrachter, das heißt die Verräumlichung, stets von Neuem herausfordert.
Sowohl bei Bajtala als auch bei Krautgasser findet sich Räumlichkeit zudem nur in einem zeitlichen Zusammenhang, als temporalisierte Spur eines Raumhandelns, als gesellschafts- und mediendeterminierter Raumkonstitutionsprozess. Ebenso wie sich die Auseinandersetzung mit der Konstruktion von Subjektivität einzig im Kontext der Verzeitlichung, des Zeitigens, denken lässt, erscheint Wahrnehmung, genauer: Raumwahrnehmung wie auch Zeitvorstellung, nicht als Folge von Subjektivität – im Gegenteil, die Subjektivität ist der Wahrnehmung von Raum und Zeit stets immanent: Wir sind im Inneren der Zeit und nicht umgekehrt. (4)
David Komary
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Anmerkungen:
(1) Vgl. Gilles Deleuze, Das Bewegungs-Bild, Kino 1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989, S. 86.
(2) Ebd., S. 92.
(3) Vgl. Michael Wetzel, Das Bild und das Visuelle, in: Barbara Naumann, Edgar Pankow (Hg.), Bilder-Denken, München: Fink 2004, S. 174ff.
(4) Vgl. Maurizio Lazzarato, Videophilosophie, Zeitwahrnehmung im Postfordismus, Berlin: b_books 2002, S. 46.
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