AUSSTELLUNGEN

IN AND OUT OF TIME
Eve Heller

April – Juni 23  
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Singing in Oblivion, 2021; Projektion, DV, Original: 35-mm-Film; 1:1,37, Mono-Ton, 13 min
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Alphabet City Winter Rhyme,1985; Silbergelatine-Print, 24 x 36 cm; In Her Wake,1999; Silbergelatine-Print, 24 x 36 cm; Secret Place,1997; Silbergelatine-Print, 24 x 36 cm
Ausstellungsansicht IN AND OUT OF TIME, Eve Heller; Galerie Stadtpark Krems, 2023; Foto: Stefan Lux; Eve Heller; Astor Place,1997; DV, Original: 16-mm-Film; 4:3, ohne Ton, 10 min
Legende
Auf den ersten Blick lassen die Fotografien und Filme von Eve Heller ein poetisch-dokumentarisches Moment erkennen. Sie handeln vom Beobachten, Betrachten, ja vom visuellen Abtasten des Realen, wobei die Bilder auch stets eine zeitlich-kontemplative Dimension bergen. Es geht nicht um das Erkennen oder Wiedererkennen des Abgebildeten, sondern um den Vorgang einer vertiefenden Bildlektüre, in der das Bild sein assoziativ-semantisierendes, aber ebenso auch sinnlich-taktiles Potential entfaltet.

Eigentlicher Gegenstand der Ausstellung IN AND OUT OF TIME ist das menschliche Porträt, so finden sich drei unterschiedliche Annäherungen an das Thema in der Ausstellung wieder. Zwei filmische Arbeiten stehen dabei einer Fotoserie gegenüber. Porträt meint hier nicht so sehr individuelles Abbild, sondern, in einem erweiterten Sinn, eine universellere, gar existentielle Betrachtung des Menschen. Heller begreift den Menschen dabei nicht nur in seinem situativen Sein, sondern auch in seinem Gewesensein und Werden. Mit Mitteln des experimentellen Films denkt sie in und mit Bildern über den Menschen, über Menschsein und letztlich über Aspekte des Seins wie Leben, Freude, aber auch Leiden und Tod nach.

Eve Heller beschreibt ihren Zugang zum Medium Film als sehr persönlich, aber auch als fragil. Schon früh hat sie – insbesondere im Arbeiten mit found footage – die Idee klassischer Autorschaft hinter sich gelassen. Heller tritt bewusst einen Schritt zurück, sie sortiert, arrangiert gefundenes Bildmaterial, setzt es aber auch auf Distanz. Dieses Ausloten des Nähe-Distanz-Verhältnisses ist ein wesentliches Merkmal der ästhetischen Praxis Hellers. Einerseits bedient sie einen taktilen, beinahe haptischen Blick. Sie schafft Berührung, empathischen Kontakt mit dem Betrachteten. Andererseits rückt sie Dinge, Orte, Personen, auf Distanz, schafft Zwischenräume, arbeitet mit Absenzen und semantischen Leerstellen, die eine aktive Lektüre des Betrachters herausfordern und den Film selbst so zu einem eigenständigen rezeptionsästhetischen Handlungsraum werden lässt.

Das Bild fungiert bei Eve Heller weniger als abbildendes Medium, denn als eine Art Sucher und Seismograph. Sie tastet das Betrachtete ab, verlangsamt den Blick, fügt Unterbrechungen ins Bildkontinuum ein, sodass eine eindeutig-semantisierende Lesart oder gar eine Instrumentalisierung des Blicks unterwandert wird. Die Künstlerin bedient sich eines einfühlenden Sehens, dem eine geradezu taktile Qualität zukommt. Oftmals geht sie, wie in ihrem Film Singing in Oblivion, Spuren individuellen Lebens und persönlicher Geschichte nach. Dabei geht es weniger um Faktizität, um reale Geschichte, als um die Evokation von Erinnerungsräumen, die in der Annäherung und Andeutung verbleiben. Das Bild macht dabei mögliches vergangenes Leben vorstellbar, imaginierbar. Die Künstlerin denkt das Betrachtete dabei stets durch verschiedene Zeitschichten hindurch, sodass sich ihre Bilder durchaus als heterochronische Porträts lesen lassen, die verschiedene Zeitlagen miteinander in Beziehung setzen. Individuelle, situative Zeit (des Lebens) trifft dabei auf Zeit per se (im Sinne eines Mediums). Heller schafft ein zeittranszendierendes, eigentlich metapiktorales Porträt, das auf paradoxe Weise individuell, doch ebenso universell ansetzt. Fotografisches Bild und Filmbild bilden dabei einen Resonanzraum, mnemisch-imaginativ, doch ebenso emphatisch-relational.

In Astor Place zieht sich die Künstlerin, zumindest vordergründig betrachtet, ganz auf die Rolle der Beobachterin zurück. Der Betrachter sieht hier minutenlang durch ein nach außen zu verspiegeltes Schaufenster auf den Astor Place, einen belebten, hoch frequentierten Platz in New York City. Was auf den ersten Blick wie eine einzige Aufnahmeeinstellung wirkt, erweist sich realiter als subtile Aneinanderreihung unterschiedlich langer Einstellungen, die mit einer handgehaltenen 16mm-Kamera gedreht wurden. Man sieht Passanten, die flüchtig vorbeiziehen. Manch einer wirft, ohne zu wissen, dass er beobachtet wird, einen Blick in die Kamera, um alsbald weiterzugehen. Die Kamera scheint hier, in metaphorischer Übertragung, nicht bloß Licht, sondern Personen einzufangen.

Der Film scheint sich geradezu von selbst aufzuzeichnen. Dennoch zeigt Astor Place keinen autorlosen Blick. Heller schafft vielmehr eine Beobachtung zweiter Ordnung, bei der der Betrachter beginnt, sich selbst beim Beobachten zuzusehen. Wer sieht hier wen, wer steuert die Sichtbarkeit wessen? In diesem Changieren von Öffentlich und Privat, Sichtbarem und Verborgenem, wird das anfänglich so unmittelbar erscheinende aufgenommene Geschehen seiner Unschuld beraubt. Der Betrachter gerät dabei, durchaus im Sinne eines Voyeurs, selbst in eine exponierte Rolle. Aus dispositivkritischer Perspektive erscheint das filmische Sehen hier latent auktorial. Der öffentliche Raum wird so auch als visuell besetzter und verwalteter Raum erkennbar, dem stets verborgene Logiken des visuellen Zugriffs und der Verwaltung eingeschrieben sind.

Entgegen einer allein blick- und dispositivreflexiven Lesart sei betont, dass Eve Heller das Bewegungsgeschehen bewusst verlangsamt. Wirklichkeit und Repräsentation weisen so eine Differenz auf, wobei den fluid anmutenden Bewegungen der Passanten eine eigenständige sinnliche Qualität zukommt. Der Eingriff der Verlangsamung rückt das Geschehen nicht nur auf Distanz, sondern verschiebt den Fokus von jenen blicktheoretischen Fragen hin zu den Menschen, ihrem individuellen Sein und ihren eigenen Geschichten. Jeder Passant entfaltet, zumindest für einen kurzen Moment, ein eigenes kleines Narrativ. In diesem Nebeneinander des Gleichzeitigen, in der Interferenz und Verwobenheit mikronarrativer Erzählungen, wird der Mensch als eigentliches Thema jener „choreography of humanity“ (Eve Heller) erkennbar.

Im Sinne eines Metafilms ist Astor Place ein Nachdenken über das filmische Sehen selbst. Er ist durchaus auch eine filmgeschichtliche Hommage an die Brüder Lumière. Darüber hinaus fragt Heller aber auch, wie das filmische Sehen das Bewusstsein zu formen vermag. Die Künstlerin deutet auf ein eigenständiges Sehen und Verstehen hin, das für ihre Arbeiten grundlegend ist. Ein Sehen, das jenseits bloßen Wiedererkennens eine Form präkognitiven und nonsprachlichen Verstehens ermöglicht und das dabei Erinnerung, Intuitives und Imaginatives mit einbindet.

Fotografie bildet für Eve Heller ein Medium und Instrument, das ihrem filmischen Denken meist vorangeht. Das fotografische Bild weist mit dem Film eine Art kontemplativer Verwandtschaft auf. „Photographic studies are essential to my film work”, so die Künstlerin. “It’s all a part of creating a kind of resonating chamber, magnetizing mindful focus and figuring out my feelings and thoughts“. Das Foto fungiert dabei als Mittel der Präkognition eines Orts, aber auch seiner Zeit(en). Es hilft der Künstlerin, den Ort auf eigene Weise zu verstehen und eine Beziehung herzustellen.  Heller lässt sich beim fotografischen Sehen betont Zeit. Ihre Bilder scheinen oftmals von einem Suchen ohne Horizont, ja ohne Schwerkraft zu handeln. Sie verlangsamen auf subtile Weise die Wahrnehmung und schaffen ein ruhiges Nebeneinander von Gleichzeitigem. In dieser fotografischen Kontemplation sucht Heller dem Gesehenen, Realen, weniger eine bloß bildhaft-autonome Präsenz abzuringen, als vielmehr eine Art ontologischer, ja sinnlich-epistemischer Verbindung zum Gesehenen herzustellen. Ihre Bilder sind so betrachtet weder Repräsentation noch Abstraktion, sondern relationale Tableaus, die dem Herstellen der Beziehung von sich zur Welt über das Medium des Blicks gewidmet sind. Die Künstlerin lässt in ihren Fotografien und Filmen Orte und Personen ästhetisch für sich sprechen, sie gibt ihnen Raum zu wirken, um mnemische, imaginative Räume zu evozieren. Der Betrachter ist somit wesentlich am Narrativ, an der Entfaltung der Bedeutung der Bilder und ihrer mnemischen Wirkung beteiligt. Semantische Koppelungen und Aufladungen, die weit über das Einzelbild hinausgehen, bilden ein assoziatives und erzählerisches Geflecht, das den so mitunter in hohem Grade imaginären Film im Auge des Betrachters mitkonstituiert.

Eve Heller porträtiert zu Beginn des SW-Films Singing in Oblivion in zehn ruhigen und eindringlichen Einstellungen den jüdischen Teil des Währinger Friedhofs in Wien. Der 1880 geschlossene Friedhof war bis zur Machtübernahme der Nazis öffentlich zugänglich, wurde aber seit der Nachkriegszeit aufgrund zunehmender baulicher Mängel und Gefahren der Öffentlichkeit nicht wieder zugänglich gemacht. Er ist nicht nur ein historisches Juwel eines Biedermeierfriedhofs und ein besonderes Naturreservoir, sondern als Ort selbst ein Mahnmal fehlender, vertriebener und ausgelöschter Generationen jüdischen Lebens.

Der Friedhof scheint bei Heller anfangs zwischen unberührtem Naturraum und geschichtlichem Ort zu oszillieren. Stilllebenartig tastet die Künstlerin die Ruinenlandschaft aus umgestürzten und überwucherten Grabsteinen mit hochauflösendem SW-Filmmaterial ab. Doch zeigt sie die Aufnahmen verlangsamt und somit leicht verfremdet, sodass sich alsbald ein Abstand zum Betrachteten einstellt. Die sanften Bewegungen der Blätter und Gräser machen die vermeintlichen Standbilder nicht bloß als Bewegtbild erkennbar, sie entfalten zudem eine latent unheimliche Wirkung. Denn Heller unterlegt das Bildgeschehen mit einem klanglich leicht veränderten Kontinuum sanfter, lebendiger Vogelgesänge, das mit den verlangsamten Bewegungen der die Gräber überwuchernden Blätter und Gräser in Widerspruch, in Differenz tritt und so zu einer zunehmenden Dekonstruktion der anfänglich poetisch-dokumentarischen Anmutung der Aufnahmen führt.

Hellers Arbeit ist von einer Dialektik des Sichtbaren gekennzeichnet. Ihr Film handelt von Sichtbarem, das vergeht, doch ebenso von Nichtsichtbarem, das zur Sichtbarkeit drängt und nach Sichtbarkeit verlangt. Die standbild- und fotografieähnlichen Einstellungen zu Beginn von Singing in Oblivion erscheinen so als Versuch des Festhaltens und Bewahrens jenes Orts vor dem Verfall und dem Vergehen. Heller rekurriert hier einerseits durchaus auf die indexikalische Verweiskraft des fotografischen Bilds, auf die Einschreibung des Realen als fotochemische Spur oder Abdruck. Anderseits lässt die Künstlerin ab der Mitte des Films eine dezidiert kinetische Dimension in das filmische Geschehen einbrechen. Die Verbindung von Wirklichkeit und Abbild scheint zunehmend entkoppelt. Heller verwendet hier nicht (länger) Bilder, um zu zeigen, sondern verhilft ihrer inhärenten Rhythmik und ihren Interferenzen zur Sichtbarkeit. Bilder beginnen, einander abzulösen, einander nachzueilen, ja ineinander zu fallen. Nichtbilder und Dunkelheiten werfen den Blick an den Betrachter zurück. Als wäre das Filmische aus dem Dunklen heraus modelliert, treten dem Betrachter Gräser, Blätter, aber auch Gegenstände wie Ketten und Stoffe pulsierend gegenüber, um dem Blick alsbald wieder zu entgleiten. Heller eröffnet in dieser zweiten Filmhälfte jedoch nicht bloß einen abstrakteren, deutlich materialsprachlich bestimmten Raum, sie bettet auch gefundene Glasnegative in das filmische Geschehen ein, die Menschen und Familienszenen unbestimmter Provenienz zeigen, sodass Momente einer möglichen Vergangenheit jüdischen Lebens evoziert werden. In manchen Einstellungen scheint es gar zum direkten Blickwechsel mit den Protagonisten zu kommen. Am Ende des Films sieht man, während das Filmbild in seinem Wechsel aus Hell und Dunkel beinahe zu atmen scheint, einen Mann und eine Frau, die liebend auf ein (ihr) Baby blicken. Und schließlich, als abschließendes Bild, sieht man einen (jenen) Säugling, der in einem geradezu brecht’schen Sinn dem Betrachter aus dem Film direkt entgegensieht – fragend, auffordernd, ja anklagend.

Die mittels Kontaktkopien ins filmische Geschehen eingebetteten Gegenstände und Texturen scheinen in ihrem objekthaften Status dem zunehmend abstrakten und materialsprachlichen Filmgeschehen im Sinne ontologischer Anker entgegenzuwirken. In diesem Changieren von Abstraktion und Figuration begegnen sich Gegenständliches und Piktorales auf Augenhöhe, während sich im selben Zuge Signifikant und Signifikat voneinander zu entfernen scheinen. Heller eröffnet hier einen filmischen Raum, der das Einzelbild weit hinter sich lässt und Film wesentlich strukturell vorstellt, als Gefüge und Geflecht von Bildern, deren Semantisierung sich in der Synthese, im kognitiven Apparat des Betrachters ereignet. Heller bringt hier jene blickreflexive und metafilmische Dimension mit ins Spiel, die bereits in Astor Place thematisch wurde. Nicht nur was ich sehe, sondern wie ich sehe und wie ich durch und mit dem Bild wahrnehme und denke, ist hier von Interesse. Die Künstlerin generiert so einen semiabstrakten mnemischen Raum, dessen „Indexikalität“ beziehungsweise Verweiskraft nicht auf Faktischem, Dokumentarischem beruht, sondern auf der interpretierenden und verdichtend-synthetisierenden Lektüre des Betrachters. Das direkt Repräsentierte und Abbildete tritt hierbei zugunsten eines filmisch autonomen Sehens zurück, das Zeit und Dauer als wesentliches Material zur Grundlage hat. Diese sozusagen „generierte Indexikalität“ von potentiell Gewesenem beruht oder mündet jedoch keinesfalls im Beliebigen. Heller dekonstruiert vielmehr das Phantasma der einen gegebenen, schlicht vorhandenen Geschichte und weist die Verantwortung schließlich dem Betrachter selbst zu. Sie lenkt den Fokus auf das System der Betrachtung, medial, apparativ, letztlich politisch. An dieser Stelle treffen sich die beiden Filme der Ausstellung IN AND OUT OF TIME inhaltlich: Der blicktheoretische, foucault’sche Ansatz in Astor Place bildet dabei die eröffnende Frage, während Singing in Oblivion sie anthropologisch und existenziell aufgreift und fortführt.

Heller bewegt sich in ihrer Arbeit zwischen Zeit, Verzeitlichung und Zeitlosigkeit. Ihre Filme und Bilder handeln vom Sein, vom In-der-Zeit-Sein, doch ebenso vom Werden, vom Kontinuum der Zeit wie ihrem Vergehen. Diese zeitphilosophische Dimension bildet ein durchgängiges Motiv, eine Art Bordunton in Hellers Werk. Das Bild ist hier kein Mittel der Aufzeichnung oder des Festhaltens, sondern ein auf mehrfache Weise das Reale transzendierendes Medium. Ein Medium im Sinne eines Mittlers zwischen Gegenwart und Vergangenem, genauer gesagt, Imaginiert-Vergangenem. In der Betonung dieses evokativen Potentials des Bildes zeigt sich eine Idee von Vergangenheit, die nicht das Abgeschlossene, Konservierte, Faktische sucht, sondern die Vergangenheit wesentlich aus der Gegenwart (der Betrachtung) heraus konstituiert versteht. Singing in Oblivion zeigt so gesehen einen Ort, der letztlich auch die Begrenztheit des Seins selbst zu verstehen, zu transzendieren sucht. Der hier porträtierte Friedhof erscheint als Ort, der nicht nur Individuelles und Kollektives verbindet, sondern in seinem Changieren zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem auch auf eine Dimension von Zukünftigem hinzudeuten vermag.

Eve Heller sucht im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft nach dem Bild des Menschen selbst. Bilder alltäglichen Lebens (Astor Place) können so der Tragik absenter Bilder und fehlender Geschichte (Singing in Oblivion) gegenüberstehen, ohne einander zu relativieren. Die Künstlerin evoziert in ihren Filmen und Fotografien einen Raum subtiler Beziehungen, die sich einem kontemplativen, einfühlenden Sehen verdanken. Das Bild fungiert dabei als Tableau empathischer Resonanz, es bildet ein Medium der Relationalität – über die Zeiten hinweg.
 
David Komary
 
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Eve Heller


Geboren 1961 in Amherst MA, USA
Lebt und arbeitet in Wien, Enzersfeld (NÖ), und Hyde Park, New York

1990–1994
Bard College, Annandale-on-Hudson, New York, Master of Fine Arts, Film
1983–1987
Hunter College, New York, Bachelor of Arts, Summa Cum Laude
1979–1982
New York University and S.U.N.Y. Buffalo; Fotografie, Film Theorie, experimenteller Film u.a. bei Paul Sharits, Tony Conrad, Abigail Child, Keith Sanborn and Roy DeCarava

Filmographie

2021
Singing in Oblivion
2019
Splice Here!
2016
Anchors Aweigh: A Roll for Peter Hutton
2013
Creme 21
1982/2009
Juice
1979/2009
Self-Examination Remote-Control
1978/2009
One
2005
Ruby Skin
2004
Behind This Soft Eclipse
2003
Glint
2001
Her Glacial Speed
1997
Astor Place
1996
Last Lost
1990
My Funny Valentine

Retrospektiven, Ausstellungen, Vorführungen, Auszeichnungen (Auswahl):

2023
Singing in Oblivion, Juror Award, Ann Arbor Film Festival, Michigan
Französische Premiere von Singing in Oblivion, Shoah Memorial, Paris
2022
Griechische Premiere von Singing in Oblivion, Retrospektive, Thessaloniki International Film Festival,
Österreichische Premiere von Singing in Oblivion, Viennale 22
Viennale 22 Erste Bank MehrWert-Filmpreis
Peruanische Premiere von Singing in Oblivion, MUTA Festival, Lima
Südamerikanische Premiere von Singing in Oblivion, FICUNAM, Mexico City
Europäische Premiere von Singing in Oblivion, Gijón International Film Festival
2021
Weltpremiere von Singing in Oblivion, Museum of Modern Art, New York
2020
Last Lost, Viennale ’20, Recycled Cinema
Retrospektive, Underdox, München
2018
Würdigungspreis des Landes Niederösterreich für Kultur: Medienkunst/Experimentalfilm
Electro-Acoustic Arts Festival, New York City
2017
Retrospektive, Masterclass, Al Este De Lima Film Festival, Peru
2016
Retrospektive, Lecture, Bienal De La Imagen En Movimento, Buenos Aires
Ruby Skin, Installation/Exhibition of Experimental Cinema and Video Art, Boom Cut Guerilla, Marseille
Retrospektive, Close-Up, London
2015
Retrospektive, Golden Reel International Film Festival, Ulan Bator
Filmpräsentation mit Live-Orchester, Lecture, Creme 21, College of The Holy Cross Worcester, USA
2014
Retrospektive, Lecture, Filmmaker Festival, Universität Mailand
2013
Retrospektive, Lecture, Slovenska Kinoteka, Laibach
2012
Retrospektive und Workshop, FICUNAM, Mexico City
2011
 Retrospektive, Lecture, Melbourne International Film Festival
2010
Retrospektive, Lecture, Prag Narodni Filmovy Archiv / Filmarchive                
2009
Retrospektive, Österreichisches Filmmuseum, Wien
2005
Retrospektive, Performance, Artcite Media City Film Festival, Windsor, Kanada
Weltpremiere von Ruby Skin, Toronto International Film Festival
2004
Weltpremiere von Behind This Soft Eclipse New York Film Festival
Retrospektive, Robert Flaherty Film Seminar, Poughkeepsie, NY
2003
Retrospektive, First Person Cinema, University of Colorado, Boulder
2002
Her Glacial Speed, Juror Citation Award, Black Maria Film Festival
Her Glacial Speed, Honorable Mention Award, Artcite Media City Windsor, Kanada
2001
Weltpremiere von Her Glacial Speed, New York Film Festival
2000
The Cool World: Film and Video in America 1950–2000, Whitney Museum of American Art, New York
1994
Burning in the Gate: A Cinema Beside Itself, American Museum of The Moving Image, New York

Eve Hellers Filme befinden sich in der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums und im Verleih von Sixpackfilm, Wien, Light Cone, Paris und Canyon Cinema, San Francisco
 
   
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