AUSSTELLUNGEN

Miles Marchan
Sebastián Díaz Morales

April – Juni 25  
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sebastián Díaz Morales; Miles Marchan (Thousands March), 2018-21; 1-Kanal-Videoinstallation, Surround-Sound, 60 min ; Sound: Philip Miller; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid; Produktion des Films mit finanzieller Unterstützung  des Mondriaan Fonds;
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sinécdoque de una Crisis (Synecdoche for a Crisis), 2023; Led-Display, ohne Ton, 68 min; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sinécdoque de una Crisis (Synecdoche for a Crisis), 2023; Led-Display, ohne Ton, 68 min; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid
Ausstellungsansicht Miles Marchan, Sebastián  Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Foto: Stefan Lux; Sinécdoque de una Crisis (Synecdoche for a Crisis), 2023; Led-Display, ohne Ton, 68 min; Courtesy: Sebastián Díaz Morales u. Galerie  Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid
Exhibition view Miles Marchan, Sebastián Díaz Morales; Galerie Stadtpark Krems, 2025; Photo: Stefan Lux; Sinécdoque de una Crisis (Synecdoche for a Crisis), 2023; Led display, without sound, 68 min; Courtesy: Sebastián Díaz Morales and Galerie Carlier/Gebauer, Berlin/Madrid
Legende
Die Ausstellung Miles Marchan des argentinischen Künstlers Sebastián Díaz Morales (geb. 1975) fokussiert in zwei filmischen Arbeiten auf das Spannungsfeld von Masse und Macht. Während die raumgreifende Filminstallation Thousands March die BetrachterInnen in Froschperspektive versetzt und mit einem einstündigen Kontinuum vorbeimarschierender protestierender Personen konfrontiert, zeigt Díaz Morales in seinem zweiten Film, ebenso in Nahaufnahme, das endlos erscheinende Händeschütteln eines früheren argentinischen Präsidenten bei seiner Inauguration. Das geradezu abstrakte Video führt das Ritual des Händeschüttelns in seiner schier endlosen Wiederholung ad absurdum. Die zunehmend leer wirkende Geste verweist nicht nur auf ein Vakuum der Repräsentation und der Glaubwürdigkeit, sondern scheint den baldigen Niedergang und Kollaps der Wirtschaft unter jenem Präsidenten im Jahr 2001 geradezu vorwegzunehmen.

Beide Filme von Díaz Morales denken nicht nur über das Verhältnis von Masse und Macht nach, sondern fragen auch nach der Dialektik von Individuum und Masse. So zeigt Thousands March das demonstrierende Individuum weitestgehend entpersonalisiert, ja abstrahiert. Díaz Morales gibt keine Gesichter zu erkennen, auch kaum konkrete Verweise auf den politischen Kontext der Märsche. Man sieht nur die meist synchronisierten Beine und Füße der Protestierenden, wodurch der Einzelne unweigerlich einer Vereinheitlichung, einer Homogenisierung unterzogen wird. Díaz Morales lässt den Einzelnen zugunsten der Einheit in Uniformität aufgehen und macht eben diese zu einer filmisch-performativen Größe, einem transpersonellen „Charakter“, der in skulpturaler Größe und immersiver Ausdehnung den BetrachterInnen über die Dauer von mehr als einer Stunde ohne dramaturgischen Anfang und Ende gegenübergestellt wird. Der Protest wird dabei zu einem Abstraktum, die vereinheitlichte Masse zu einem Phänomen, das gleich einem Protagonisten ob seiner Charakteristika befragt und auf diese Weise, jenseits seiner vordergründigen, dokumentarischen Sichtbarkeit, porträtiert wird. Der Film er sucht, so der Künstler, „in den Körper der Massen ein(zu)dringen, ihn zu ermächtigen und von (s)einem stereotypen Bild zu lösen“.

Diáz Morales hat für Thousands March über einen Zeitraum von zwei Jahren Demonstrationen und Kundgebungen in Buenos Aires aufgezeichnet, vor allem den Internationalen Frauentag am 8. März und den Tag der Erinnerung für Wahrheit und Gerechtigkeit am 24. März. Der Künstler filmt die Proteste mittels eines eigens entwickelten umgedrehten Einbeinstativs, um Aufnahmen vom Boden machen zu können. Zudem ist die Tiefenschärfe auf nur etwa 30 cm eingestellt. Der Betrachter befindet sich somit mitten im Geschehen, fühlt sich denkbar klein, ganz dem Boden nahe. Man sieht nur Füße, Schuhe, Unterschenkel, selten ganze Personen. Das Bild erweist sich zudem als flüchtig und ephemer. Einmal bewegt sich die Masse, dann wieder die Kamera, manchmal auch beides. Dem nicht genug, zeigt der Künstler das Filmgeschehen als raumgreifende Projektion auf einer eigens gebauten 9 x 4 Meter großen Wand, die leicht gedreht im Ausstellungsraum platziert ist. Die skulpturale Inszenierung verstärkt in ihrer schieren Größe das Moment perzeptiver Überforderung. Das Bild changiert zwischen Aufzeichnung und Abstraktion, es wird zu einer Art impressionistischem Suchbild, das von Bewegungsunschärfen und Richtungswechsel bestimmt wird.

Während sich anfangs, auf den ersten Blick, noch der Eindruck einer dokumentarischen Szene, eines Plots einzustellen scheint, verliert sich diese Gewissheit, im Zusammenwirken von bildlichem und auditivem Geschehen. Díaz Morales hat für den Film mit dem südafrikanischen Komponisten und Sounddesigner Philip Miller zusammengearbeitet, der zwar die vorhandenen Tonspuren der filmischen Footage von Díaz Morales verwendet, den Ton jedoch entkoppelt und so eine eigenständige und doch subtil mit dem Bildgeschehen abgestimmte Narration entwickelt. Im Verlauf des Films löst sich das Geschehen zunehmend vom Bildlichen, Dokumentarischen. Miller entwickelt ein hoch differenziertes Kontinuum aus Stimmen, Marschgeräuschen, Trommeln, Hupen und immer wieder Stille. Er lässt das auditive Szenario im Zusammenspiel mit dem Bild einmal divergieren, ein anderes Mal autonom nebeneinanderstehen, um sich an anderer Stelle mit dem Filmbild erneut zu synchronisieren.

Der Rezipient sieht sich in Thousands March nicht nur verschiedenen, parallelen Szenerien, sondern auch unterschiedlichen Affektspuren ausgesetzt, die auf komplexe Weise ineinandergreifen und sich wechselseitig semantisieren. So findet sich in Minute 6 auf bildlicher Ebene eine Nahaufnahme von Füßen und Beinen, die vom relativ entfernten, verhallten Klang eines Marsches konterkariert werden. Miller arbeitet auch mit Momenten der Verfremdung, so etwa um Minute 10.00. Hier scheinen sich dudelsackartige, signalhafte Töne zunehmend als Polizeisignal zu erkennen zu geben. Das vordergründig Reale scheint somit stets auch latent ungewiss, es will einer Prüfung unterzogen werden. In Minute 16 brechen – wiederum als Irritation und Verfremdung gelesen – Trommelschläge ins dumpfe Klanggeschehen ein, die beinahe an Schüsse denken lassen, um alsbald wieder in plötzliche Stille zu münden.

Zur Filmmitte hin kommt es zu beinahe kammermusikalischen Szenen, etwa, wenn sich in Minute 23 eine separat erklingende Trommel als Solo nach vorne drängt, während eher blechern klingende Trommeln eines entfernten Protestzuges zu antworten scheinen. In der zweiten Hälfte des Films weitet sich der Spagat zwischen Sehen und Hören noch aus, doch dient die kognitive und sychronizistische Dissonanz nicht der schlichten Dekonstruktion des Gezeigten, Wirklichen, als vielmehr einer Abstraktion, die ein eigenes Nachdenken des Betrachters über Masse, Macht, das Affiziertsein und Aufgehen in der Masse zu evozieren sucht. Der Hörer wird hier sinnlich aufgefordert, sich aktiv mit dem Gesehenen und Gehörten auseinander und in Beziehung zu setzen. Bild und Ton sind hier längst keine bloße Spur eines Gewesenen, sie bilden eigenständige Narrationen und Affektspuren, die den Rezipienten einer ständigen kognitiven und affektiven Herausforderung aussetzen. Der Rezipient wird so mit seinem eigenen Sehen und Hören konfrontiert. Was wie eine dokumentarische Miniatur anfing, entwickelt sich zum Porträt eines Abstraktums von Masse und Macht, das dennoch stets zum Menschen, zum realen Gegenüber zurückfindet und sich nicht in Metapolitischem oder Belehrend-Kritischem verliert.

Diaz Morales lässt das Dokumentarische hinter sich, im Zusammenspiel mit dem auditiven Geschehen Millers entsteht ein eigenständiger, sozusagen dritter Raum, in dem es weniger um Protest, Aufbegehren und Widerstand geht, sondern viel allgemeiner auch um Energie, Affekt, Massendynamischem und dem Potential, aber auch der Gefahr der Entladung. Im Unvorhersehbaren, Unkontrollierbaren liegt auch das latent Bedrohliche, das dem Film inhärent ist. Momente des Stehenbleibens, des möglichen Wegfallens oder Hinzukommens von Protestierenden, versetzen das Szenario in stetige Spannung. Die Masse erscheint sukzessive als eigene Größe. Sie scheint sich zu „verhalten“, will wachsen, in Gleichheit vereinen, sich verdichten, in eine Richtung bewegen, so beschreibt Elias Canetti in „Masse und Macht“ auch die wesentlichen Charakteristika der Masse. Die Menge/Masse lässt sich bei Diaz Morales als langsame, aber dennoch rhythmische Menge lesen, im stetigen Übergang von bewegt, stockend und stehend. Diaz Morales Film geht es somit nicht alleine ums Gehen, sondern ebenso ums Stehen, übertragen gedacht ums Aufstehen, Sich-Erheben. „Der Stolz des Stehenden“, so Canetti, „ist, daß er frei ist und sich an nichts lehnt“. Die Protestgruppen kommen bei Diáz Morales immer wieder in Stocken, suchen nach Orientierung, wechseln ihre Richtung. Das Stehen kommt dabei nur zeitweise und kurzweilig vor, bei Richtungswechsel, beim Zuhören, Parole rufen, und doch bedeutet es auch für den Filmbetrachter eine Umorientierung, einen Bruch im vermeintlich Gleichförmigen. Diáz Morales stellt mit dem Blick auf Füße und Beine nicht nur den basalsten „Antrieb“ jeder Gruppe, jeder Masse ins Zentrum des Geschehens. Rhythmus und Rhythmisierung bildet auch eine wichtige Gemeinsamkeit und Drehtür zur auditiven und musikalischen Ebene Philip Millers. Das Hören auf den Rhythmus der Schritte anderer, und mehr noch, das Annehmen des Rhythmus anderer zugunsten der Gruppenzugehörigkeit (Jagen, Verteidigung), des Massentriebs, bilden menschheitsgeschichtlich wie auch anthropologisch essentielle Konstanten im Verhalten in und zur Masse.

In Diáz Morales kontemplativ-kritischer Meditiation über Massen erweit sich diese als schwer bestimmbare, ja imaginäre Größe. Die Masse will, so Canetti, stets wachsen, daher ist ihre Größe unbestimmbar, weil in Veränderung. Sie strebt zudem in eine Richtung, ist daher nicht konkret zu verorten, also auch räumlich unbestimmt. Die Masse, so der Simulationstheoretiker Jean Baudrillard noch radikaler in „Im Schatten der schweigenden Mehrheiten“, verwirkliche „das Paradox, kein Subjekt, kein Gruppensubjekt, aber auch kein Objekt zu sein“. In der Vorstellung verschwimmen die Massen, so Baudrillard weiter „irgendwo zwischen Passivität und wilder Spontanität, doch stets bleiben sie potenzielle Energie“. Trotz der inhärent repräsentationskritischen Note von Thousands March, der Infragestellung politischer Repräsentation an sich, ist das Porträt von Masse bei Diáz Morales weder pessimistisch noch dystopisch, der Künstler versteht, um mit Baudrillard gegen Baudrillard zu sprechen, Masse nicht nur „als Ort der Leere, der „Absorption und der Implosion“ von Repräsentation. Thousands March ist vielmehr ebenso eine filmische Ode an die Kraft kollektiven Handelns, an die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit der Intervention, des Aufbegehrens, des Widerstands. Der Film lässt sich so als ein Porträt eines immerwährenden Marsches ohne Anfang und Ende lesen, der letztlich aber auf den grundsätzlichen Impuls, ja auf das Prinzip von Freiheit selbst rekurriert.

Auch die zweite filmische Arbeit von Diáz Morales basiert auf einem einfachen, beinahe taktilen und körperlichen Moment. Sinécdoque de una crisis zeigt die Nahaufnahme der Hand eines früheren argentinischen Präsidenten bei seiner Amtseinführung, In dem einstündigen Film politischer Inszenierung sieht man den Repräsentanten anderen Persönlichkeiten, Politikern und Prominenten unablässig die Hand schütteln. Diáz Morales fokussiert in seiner filmischen Bearbeitung der historischen Footage ausschließlich auf die Hand des Präsidenten, er trackt/verfolgt sie und setzt sie ins Bildzentrum, sodass sämtliche Gesten, bestätigende wie auch freundschaftlich-intime, das Geschehen bestimmen. Diáz Morales scheint die Hand bei ihrer Tätigkeit geradezu zu verfolgen. Er lauert ihr auf, folgt ihr auch in die Peripherie des Bilds, beim Griff zum Taschentuch, aufs Hosenbein, bis sie wieder ausfährt, um dem nächsten Opponenten zu begegnen. Hier zeigt sich, in Umkehrung aber auch in Bezug zum Topos der Masse, der Bildung von Masse in Thousands March, eine zutiefst körperliche und basale Situation, die alsbald in Machttheoretisches umschlägt. Man sieht sich, wiederum mit Baudrillard, mit einem perpetuierenden „System der Herrschaft der immer gleichen vervielfältigten Zeichen“ konfrontiert, „die aber nichts mehr repräsentieren“. Indem Diáz Morales den Blick auf die Hände richtet, lenkt er den Fokus auf ein Medium non-verbaler und unterschwelliger Kommunikation, auf Momente der Zustimmung, des Vertrauens, aber auch des Dominierens. Das Ritual wirkt ob seiner Länge nicht nur absurd, es mutet auch, ob der ungewollten Initimtät, latent beklemmend und grotesk an.

Was sich in Sinécdoque de una crisis zunächst als medial inszeniertes Ritual politischer Zustimmung, der Übertragung politischer Verantwortung an eine Person, eine Hand erweist, ist bei Diáz Morales aber auch stille Antizipation des baldigen wirtschaftlichen Kollapses, der sich realiter jenem Präsidenten zwei Jahre nach der Angelobung jenes Präsidenten ereignet hat. Der Film steht also sinnbildlich auch für den Zustand einer wirtschaftlichen Dauerkrise des Landes, er zeigt nicht nur die überhöhte, leere Inszenierung politischer Repräsentation, sondern lässt sich metaphorisch als Choreographie des Scheiterns, der wiederkehrende Enttäuschung übertragenen Vertrauens und projizierter Hoffnung lesen. Nicht umsonst lässt der Künstler das Filmbild, das dem Betrachter auf einem kleinen quadratischen LED-Public-Screen auf Augenhöhe gezeigt wird, über die einstündige Dauer um die eigene Achse drehen und so metaphorisch zu einem ahnenden Zeitmesser werden, zu einer Uhr, nach der man sich richten, ja auf die man sich verlassen kann.

Beide Filme der Ausstellung Miles marchan zeigen ein ruhiges, doch stetig im Fluss befindliches Bewegungskontinuum. Sowohl das Händeschütteln als auch die langsame Bewegtheit der Protestmengen schaffen eine Art beklemmender Faszination. Die Bewegung ist nicht nur im filmischen Geschehen fundiert, sie scheint geradezu aus sich heraus stattzufinden, ja eine abstrakte, apriorische Größe zu bilden. Trotz Schnitt und Blickwechsel scheint dem Geschehen ein stetiges Gleiten, Führen und Drängen inhärent. Bewegung und Richtung, also letztlich einfache, kinetische, ja körperliche Momente, bleiben eigentlicher Tenor und bestimmendes ästhetisches Agens der Filme. Das Massenhafte, das sich gedanklich bei Diaz Morales in beiden Filmen eigentlich weit außerhalb des Bilds wiederfindet, erlangt in jener Bewegtheit, jenem Fließen, ein dennoch konkretisierendes Äquivalent, eine sinnliche, betont prozessual erfahrbare Form.

David Komary
 
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Sebastián Díaz Morales

sebastiandiazmorales.com
carliergebauer.com

Sebastián Díaz Morales was born in Comodoro Rivadavia, Argentina, in 1975 and lives and works in Amsterdam, The Netherlands. He attended the Universidad del Cine de Antin in Argentina from 1993-1999, the Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam from 2000-2001, and Le Fresnoy, Roubaix, France from 2003-2004. Diaz Morales’s conception of reality has been shaped by the living conditions and landscape of his birthplace, Comodoro Rivadivia, an industrial city located on the Atlantic coast, in a rugged area between the Atlantic Ocean and the Patagonian Desert in southern Argentina. His questioning of reality in film, whether concerning landscape, the urban, or even the sociopolitical, has been marked from the very outset by a fundamental distrust of the belief in a single, unified reality. With Díaz Morales, the camera does not function as a medium for faithfully depicting and recording what is observed, but is an essential, even epistemic means for questioning and appropriating reality.

His work has been exhibited widely at venues—such as the Tate Modern, London; Centre Pompidou; Stedelijk Museum and De Appel, Amsterdam; Le Fresnoy, Roubaix; CAC, Vilnius; Art in General, New York City; Ludwig Museum, Budapest; Biennale Sao Pablo; Biennale of Sydney; Miro Foundation, Barcelona; MUDAM, Luxemburg; Calouste Gulbenkian Foundation, Lisbon; the Biennale di Venezia and Documenta Fifteen. 

His works can be found at the collections of the Centre Pompidou; Tate Modern; Fundación Jumex, Mexico; Sandretto Foundation, Torino; Lemaître's collection; Constantini collection, Buenos Aires; Pinault Foundation, Paris; Sammlung-Goetz, Munich; and the Fundacion de Arte Moderna, Museo Berardo, Lisbon between others. 
In 2009 he was awarded with a Guggenheim Fellowship.


Solo Exhibitions

2024
Pasajes IV, Museum Jorn, Silkeborg, DK

2023
Bienalsur, Les Abatoirs, Toulouse, FR
Smashing Monuments, Kunsthall 3,14, Bergen, Norway
Smashing Monuments, Collective, Edinburgh, Scotland

2022
Miles Marchan (Thousands March), De Pont, Tilburg
Pasajes, carlier | gebauer, Madrid

2021
Suspension, Kunsthal, Gent, Belgium
Pasajes, Cityscapes Foundation, Oudezijds Voorburgwal, Amsterdam, NL
Open Sketches, Van Zijll Langhout Contemporary Art, Amsterdam, NL

2020
Talk with Dust, carlier|gebauer, Berlin

2019
Talk with Dust, STUK, Leuven, Belgium
The Lost Object, Statenlokaal Tweede Kamer, Den Haag, NL
Insight, Rotterdam Art Fest. & Art Rotterdam, Rotterdam, CS
The Lost Object, Statenlokaal Tweede Kamer, Den Haag, NL

2018
En un futuro no muy lejano, Muntref, Ecoparque, BsAs, Argentina
Passages, Galerie Stadtpark, Krems, Austria


2017
Solo Show, Ikono TV, Berlin, NY, Shanghai
The Man with the Bag & Canto Ostinato, Museum Kranenburgh, Bergen, NL
Compilation of works, Caixa Forum, Madrid, Spain
Insight, Solo presentation Feria Arco, Madrid, Spain

2016
Ficcionario IV, Museum für Gegenwartskunst Siegen, Germany
The Lost Object, gallery carlier | gebauer, Berlin, Germany
Suspension and Pasajes IV, Statenlokaal Tweede Kamer, Den Haag, NL

2015
Pasajes, Galeria Pepe Cobo, Lima, Peru
Ficcionario III, Le Fresnoy, Roubaix, France

2014
Ficcionario II, CAC, Vilnius, Lithuania

2013
Ficcionario, gallery Catherine Bastide, Brussels
Social Sciences school, Paris (screening)
Double Feature, Schirn, Frankfurt (screening)
Something you should know, Social Sciences school, Paris (screening)

2012
Ficcionario, carlier | gebauer, Berlin
On Cinema and Representation, Videodromo, Ancona, Italy

2011
Solo presentation Open Space, Art Cologne, Germany
Sebastián Diaz Morales, Artsphere gallery, Jakarta, Indonesia
Seance Speciales #2, Frac Franche-Compte, Besançon, France

2010
Perspectif Cinema (screening), Centre Pompidou, Paris
El Camino entre dos puntos, Pepe Cobo y cia, Madrid
Natalie Seroussi Galerie, Paris

2009
The Way Between Two Points, carlier | gebauer, Berlin
The Way between Two Points, Frieze fair, London

2008
Fine Art School Grand Galleries, Rouen, France

2007
The Means of Illusion, carlier | gebauer, Berlin
Ring, Art/Unlimited, Basel, Switzerland

2006
The Man with the Bag, Miro Foundation, Espai 13, Barcelona, Spain

2005
Dependents, Attitudes, Geneve, Switzerland.
Prototypes, carlier | gebauer, Berlin.
Lucharemos..., Yvon Lambert, Le Studio, Paris.
Nowhere, Le Plateau, Paris.

2004
The Enigmatic Visitor and The Man with the Bag, Kunst Werke, Berlin.
15000000 Parachutes, Tate Modern,The Projected Image, Collection Display, London.

2003
In a not so Distant Future, Stedelijk Bureau, Amsterdam, NL
Compilation works, MK2, Paris, France
Operacion Rescate (screening program), Compilation works, MAMBA Museo de Arte Moderno de Buenos Aires
In Focus Compilation Video Works 1997-2002, World Wide Video Festival, Amsterdam, NL
The Apocalyptic Man and One Year Later, Croix Baragnon, Traverse Video, Toulouse, France
The Apocalyptic Man, Buro Empty, Amsterdam, NL

2002
The Apocalyptic Man, gallery carlier | gebauer, Berlin
The Persecution of the White Car, FIAC, Video Cube, Price Winner, Paris
Blikwissel, De Paraplue-Fabriek, Nijmegen, NL
Just Like a That Productions, Museum Abteiberg, Mönchengladbach,Germany

2001
Open Circuit, n.s.a. Gallery, Durban, South Africa, (in collaboration with Jo Ractliffe)
   
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