Künstler: Rainer Gamsjäger, Stefan Lux
Das ontologische Verhältnis von Bild, Medium und Wirklichkeit bildet den thematischen Kontext der Ausstellung equation with n unknowns. Rainer Gamsjäger und Stefan Lux untersuchen videographisch Interferenzen von visueller Wahrnehmung und medialer Codierung. Sie arbeiten, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise, mit Latenzen und Paradoxien einer laufbildbasierten Ästhetik, evozieren visuelle Unbestimmtheitsstellen, um auf mediale Standards, deren Konventionalisierung und ihren Auswirkungen auf unsere Projektion, unsere Konstruktion von Wirklichkeit, zu verweisen. Das Medium fungiert dabei längst nicht mehr als Neutrales, als Mittel der Repräsentation, das Wirklichkeit unmittelbar wiedergibt, sondern wirkt bedeutungskonstitutiv im Sinne eines Wahrnehmung, Bewusstsein und Realität verschränkenden Dispositivs. Vor diesem medienontologischen Hintergrund werden die unterschiedlichen Praktiken von Lux und Gamsjäger als spezifische Versuche einer Befragung jener komplexen, rekursiven Zusammenhänge lesbar: von wahrnehmendem Subjekt, medialer Codierung und einem fragwürdigen Außen.
Die Wahrnehmung natürlicher oder besser: vermeintlich natürlicher Phänomene bildet – wie bereits in der Ausstellung asynchronous circuits(1) – einen wesentlichen ikonischen sowie inhaltlichen Bezugspunkt. Natur bzw. Natürliches fungiert hier als Chriffre für Unmittelbarkeit, Authentizität, für ein von der Wahrnehmung unabhängiges Äußeres, ein Reales. Während Gamsjäger auf das Dispositiv des Landschaftsbildes und damit auf ein (ehemals) Naturschönes rekurriert, stützt sich Lux auf eine Bildregie, die suggeriert, natürliche Bewegungsabläufe und -zusammenhänge verobjektivieren und damit epistemisch fassbar zu machen.
Rainer Gamsjägers Video Trifter 1 scheint auf den ersten Blick einfach strukturiert. Die Kamera fährt langsam und gleichförmig einen Waldrand entlang, man sieht ins Innere des Waldes, scheint also Vertrautes, gar Idyllisches zu sehen. Jedoch verhalten sich Vorder- und Hintergrund im zeitlichen Verlauf nicht in erwarteter Weise, sondern geradezu paradox zueinander. Verzerrungen und Verschiebungen zwischen unterschiedlichen räumlichen Tiefenschichten bestimmen das Geschehen. Sie scheinen von nonkausalen Wirkungszusammenhängen bedingt, die nach einer sich nicht erschließenden Logik das Visuelle überformen. Die optischen Gesetzmäßigkeiten, auf denen Natur- bzw. Wirklichkeits-repräsentation mittels Video gemeinhin basiert, sind innerhalb dieses Bildsystems ausgehebelt. Die gewohnte Darstellung von Raum und Zeit erweist sich als auf Konventionen basierendes Wahrnehmungsraster, das längst schon dem Sehen vorgeschaltet ist. Nicht das Dargestellte im Video, sondern das die Sichtbarkeiten regulierende Dispositiv wird auf diese Weise zum Thema.
Das eingangs so stimmig wirkende Erscheinungsbild des Waldes folgt realiter nicht der Natur, sondern einer gezielten, programmierten Dekomposition des Bildkontinuums: Gamsjäger zerlegt das digitale Bild in kleinste Bestandteile, in Pixelzeilen, und sortiert diese mit einem eigens geschriebenem Programm neu. Die Einzelbilder werden hierfür zu einem imaginären Bildkubus angeordnet. Der Künstler vermag auf diese Weise die laufbildbasierte Akkumulation des Zeitlichen aufzuheben und die Zeitlichkeit in eine räumliche Dimension zu übersetzen. Die Sukzession der Ereignisse wird in die Simultanität diskreter Zeitlichkeiten der einzelnen Frames transferiert. Somit wird weniger eine Fahrt entlang eines Waldstücks sichtbar als vielmehr die von Gamsjäger programmierte, virtuelle Fahrt durch das imaginär gestaffelte Schichtenbild hindurch.
Das Videobild wird dadurch einer doppelten Dekomposition unterzogen: Einerseits des Räumlichen, der zentralperspektivischen Darstellung und der damit einhergehenden Tiefenschichtung, andererseits der Zeitlichkeit des Bewegungsbildes: Der Künstler setzt jene Logik, die das Videobild kausal mit dem gefilmten Geschehen zu verknüpfen scheint, außer Kraft zugunsten eines Zeitbildes,(2) das sich hier, nach impliziten, programmbasierten Routinen, in der Zeit prozessual fortschreibt. Das Motiv ist in dieser chronoästhetischen Perspektive weniger der Wald, sondern der Stream selbst, die Dauer des videographischen Ereignisstroms.
Das Naturschöne wird auf diese Weise zum Rohmaterial. Der Wald fungiert lediglich als Chiffre für Natur, steht für die Vorstellung einer Entität, die sich autopoietisch reproduziert.(3) Mit dieser Idee geht die der Authentizität der Erfahrung sowie die Vorstellung der Unverstelltheit des Blickes einher: Die Abbildung eines derartigen Waldes ließe noch auf ein intaktes, stabiles Repräsentationsverhältnis von Bild und Wirklichkeit hoffen. Gamsjägers Video zeigt eine mediale Erscheinung unbestimmbaren Ursprungs, ein Signifikant ohne Signifikat. Dieser Wald ist ein Visuelles, das mit Sichtbarkeit im Sinne von optischer Repräsentation nichts mehr zu tun hat.(4) Hier geht es nicht mehr um Widerspiegelung einer Wirklichkeit, es geht „um Effekte (einer Karte ohne reales Reich): Effekte der Schrift der Maschine, die über diese Effekte unser Begehren affiziert“ (5). Der Wald in Trifter 1 spiegelt in diesem Sinn nicht Natur, sondern den hermetischen Raum seiner eigenen Medialisierung wider. Beide, Wald wie auch die programmierte Mediosphäre Gamsjägers, sind uneinsehbar, unzugänglich und somit unheimlich. Diese Analogie von Wald – als Figuration eines systemisch geschlossenen, „natürlichen“ Raumes – und medialem Datenraum lässt weder Wald noch Medium, sondern vielmehr ein abstrakt Unheimliches, das an den romantischen Topos des Erhabenen erinnert, als ideengeschichtliche Folie der akzidentiellen und dezentrierten Bildräumlichkeit in Trifter 1 erscheinen.
Wie bei Gamsjäger, so werden auch bei Stefan Lux nicht die Gegenstände der Beobachtung, sondern Bildregie und mediale Codierung selbst zum Gegenstand des ästhetischen Experiments. Der Künstler inszeniert seine Videos in der Art visueller Versuchsanordnungen, er schafft Beobachtungsdispositive, die wesentlich epistemologisch intendiert scheinen: Die Bildregie zielt, so könnte man meinen, auf möglichst unverfälschte Aufzeichnung der Abläufe „vor“ der Kamera. Diese Art der visuellen Aufzeichnung rekurriert auf einen kausalen, geradezu indexikalischen Zusammenhang von Wirklichkeit und Abbild. Doch die vermeintlich objektiv dokumentierten Abläufe münden bei Lux in abbildtheoretische Paradoxien. Unterschiedliche Bildlagen scheinen wie selbstverständlich den realen Abläufen an der Wand gleichgestellt. Wenn bisher, in „geordneten“ abbildlogischen Verhältnissen, das Bild der Wirklichkeit folgte, so scheint es hier weder dem Gegenstand zu folgen noch umgekehrt. Vor dem Hintergrund dieser medienontologischen Verschaltetheit evoziert Lux ein Szenario von Abläufen und Zusammenhängen fragwürdiger Kausalität. Das hermetische Wahrnehmungsfeld des Bildgevierts bildet dabei weniger den Beobachtungsrahmen der Ursache-Wirkung-Paradoxien, als dass es diese selbst hervorzubringen scheint. Es entsteht geradezu der Eindruck, als würde das Bild vom Bild lernen und als würden die visuellen Erscheinungen aus dieser invertierten Mimesis resultieren.
Im Video Display entwickelt Lux ein komplexes, beinahe surreal anmutendes, performatives Zusammenspiel von bewegten, an einer Wand applizierten Gegenständen, Wandprojektionsbildern und Schattenprojektionen. Sämtliche „Akteure“ scheinen miteinander in Beziehung zu stehen: Eine schwingende Muschel etwa bewegt einen Schatten des linken Bildrandes und ein in einer kleinen Bildprojektion schwingendes Pendel scheint ein Resonanzverhältnis zur repetitiven Bewegung der Muschel zu unterhalten. Ein stabähnlicher Gegenstand wiederum versucht, eines bewegten Schattenpunktes habhaft zu werden, hinkt dessen Schwingungsvorgängen aber stets aufgrund einer gewissen Trägheit hinterher. Dergleichen Zusammenhänge scheinen subtil, doch mannigfaltig vorhanden. Das Bildgeviert zeigt eine Zone semantischer und zugleich ästhetischer Unbestimmtheit und Unübersichtlichkeit. Das Bild gibt hier jedoch nicht einfach etwas zu sehen, sondern setzt eine Suchbewegung in Gang. Dieses explorative Moment richtet sich nicht bloß auf die „handelnden“ Gegenstände, sondern auch auf deren Synthese mit den unterschiedlichen Projektionsbildern und deren Zeitlichkeit. Die oftmals asynchronen Wirkungszusammenhänge scheinen dabei alles andere als kontingent oder beliebig, sondern wirken geradezu, als ob ihnen eine zwingende, beinahe maschinische, wenn auch nonlineare Logik zugrunde läge.
Auch im Video Bild arbeitet Lux mit der Reziprozität und der Invertierung des Verhältnisses von Bild und Bildgegenstand. „Reale“ und imaginäre Lagen scheinen hier geradezu rekursiv aufeinander bezogen und voneinander abhängig. Wie auch in Display zeigt Lux nicht Gegenstände und Abläufe, sondern führt mediale Codierungen und Darstellungsweisen von Wirklichkeit vor, die einander kopieren, spiegeln, sich multiplizieren. Die Synthese unterschiedlicher ontologischer Bereiche und Virtualitätsniveaus erzeugt eine nahezu halluzinatorische Wirkung: Eine amorphe Gestalt in Form eines blauen Flecks bewegt sich über die Dauer des Films aleatorisch vor sich hin. Die blaue Gestalt, deren Bewegungen beinahe wesenhaft wirken, realiter die gefilmte Spiegelung einer blauen Blüte im Wasser, ist bildlich mehrfach codiert und somit jeglicher Realität entrückt. Diese fragwürdige Figur wird von einem gezeichneten Liniengeflecht umgeben, das als „Handlungsanweisung“ zu fungieren scheint. Grotesk anmutende Gegenstände – etwa mit Stecknadeln fixierte Brotstücke – markieren die Endpunkte bzw. Maxima der Bewegungen der blauen Form. Die Figur passt sich kontinuierlich, wieder und wieder – dem Prinzip der Mimikry nicht unähnlich – dieser ihrer Umgebung an. Als würde das performative Bildelement mit der Kartographie seiner noch zu vollziehenden Bewegungen korrespondieren. Oder als brächte das Bildphänomen reale Spuren hervor, denen es dann wieder zu folgen versucht. Eine Form der Chronologie, eine Form zeitlicher Kausalität, lässt sich hier längst nicht mehr ausmachen. Die ineinander verschlungenen Prozesse und Abläufe führen trotz der Reduziertheit der piktoralen Inszenierung zu einer Form von Unübersichtlichkeit, zu einer Polychronie simultan ablaufender Prozesse, die den Betrachter unablässig überfordert und ihm verunmöglicht, das Gesehene als Einheit zu fassen und zu verdinglichen.
Lux und Gamsjäger entwickeln hermetische Dispositive, sie legen bestimmte Determinanten der Visualisierung fest, um Beobachtungen am Medium selbst und dessen Auswirkungen auf die Darstellung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit machen zu können. Beide schaffen in diesem Sinn visuelle Versuchsanordnungen, nicht um Wirklichkeit, sondern um deren Codierungen und deren ontologische Enthierarchisierung beobachtbar zu machen. Die Künstler setzen dabei jenseits eines naiven Realismus an, der „Realität“ als vom Betrachter Unabhängiges denkt, als ein jenseits der Wahrnehmungen bestehendes Metaphysisch-Reales, das mittels eines Mediums wie der Kamera abbildbar wäre. In dieser Lesart sind die Arbeiten Dekonstruktionen authentischen Sehens. Es ist ihnen nicht darum zu tun, in einem trivialplatonischen Sinn jegliche visuelle Erscheinung als einer Scheinwelt zugehörig zu entlarven, sondern darum, ein Sehen zu ermöglichen, das weder den Objekten noch den Bildern zugewandt ist, sondern das deren rekursiven und reziproken Beziehungen nachgeht.
Die filmischen Bilder verweisen in dieser medienreflexiven Lesart nicht auf Gegenstände, sondern auf die Bildregie und in letzter Instanz auf das jeweilige Mediensystem im Sinne eines Mediendispositivs, das nicht allein Sichtbarkeiten reguliert und hervorbringt, sondern das steuert, ob und welche Bildelemente für den Betrachter bedeutend sind oder werden. Die Tableaus der symbolischen Ordnung, auf denen das Reale angeordnet und zur Erscheinung gebracht wird, werden der Untersuchung unterzogen.(6) In diesem Sinn zielen die visuellen Anordnungen von Gamsjäger und Lux auf Latenzen und Unbestimmtheiten der Wahrnehmung, sie schaffen ästhetische Dispositive, um „die exzentrische Erfahrung des Heterogenen wahrzunehmen, ohne sie in konstanz-sichernden Mustern zu fixieren, anders gesagt: um Komplexität zu erfahren, ohne sie in Redundanzen, Nicht-Bestimmtheit aufzulösen“ (7).
David Komary
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Anmerkungen:
(1) Siehe den gleichnamigen Katalog zur Ausstellung asynchronous circuits mit Judith Fegerl und Barnaby Hosking, Galerie Stadtpark, Krems, 2008.
(2) Vgl. die Unterscheidung von Bewegungsbild und Zeitbild in: Gilles Deleuze, Das Bewegungsbild, Kino 1, sowie ders., Das Zeitbild, Kino 2, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997.
(3) Gernot Böhme, Die Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, Kunstforum Bd. 114, 1991, S. 85ff. Vgl. auch: Gernot Böhme, Natürlich Natur, Über Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992.
(4) Vgl. Michael Wetzel, Das Bild und das Visuelle, in: Barbara Naumann, Edgar Pankow (Hg.), Bilder-Denken, München: Fink 2004, S. 174f.
(5) Reinhard Braun, Vom Gegenstand zur Information, Der Künstler als Servomechanismus, in: Thomas Feuerstein, System-Daten-Welt-Architektur, Wien: Triton 1995.
(6) Ebd.
(7) Hans Ulrich Reck, Flügelschlag der Sehnsucht, Ein Versuch über das Ephemere und das Denken, in: Heute ist Morgen, Über die Zukunft von Erfahrung und Konstruktion, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2000, S. 175.
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