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Okt – Nov 08

Text | engl. | Abbildungen


KünstlerInnen: Barnaby Hosking (GB), Judith Fegerl (A)

Die Wahrnehmung natürlicher od er vermeintlich natürlicher Phänomene im Spannungsfeld von Ästhetik und Epistemologie bildet den Untersuchungsgegenstand für Barnaby Hosking und Judith Fegerl. Beide de- und rekonstruieren ästhetische Regelsysteme, unterwandern die von ihnen analysierten Bildsysteme, indem sie den eigenen Output operativ einbinden und mit dem System rückkoppeln. Dieses Wechselspiel der Rückkoppelungen und Interferenzen von Medium und Wahrnehmung, von medialem und mentalem Apparat, wirft die Frage nach der Konstruktion unserer Wirklichkeiten, unseren Weisen der Welterzeugung (1) auf. Dabei rekurriert Hosking auf das Kunstschöne des Landschaftsbilds, Fegerl auf Modelle der Mathematisierung von Raum und Zeit. Beide fokussieren in ihren Arbeiten instrumentell gestützte visuelle Systeme, Hosking optische Systeme wie den Polarisationsspiegel, Fegerl die Regien des wissenschaftlichen Bildes. Wenn Hosking in weiterer Folge mit expliziten Referenzen zur Kunst arbeitet, während Fegerl die Systemgrenzen von Wissenschaft und Kunst auslotet, werden die Unterschiede ihrer ästhetischen Strategien erkennbar. Auf ihre je eigene Weise reflektieren beide Arbeiten, dass Wahrnehmung sich stets ereignet in dem „asynchronen“ Zusammenhang von wahrnehmendem Subjekt, medialer Codierung und einem Außen, das wir versucht sind, als „Realität“ zu fassen.

In der dreiteiligen installativen Anordnung Die unsichere Kurvenschar arbeitet Judith Fegerl mit mathematisierten Beschreibungsformen und Zeichensystemen räumlicher und zeitlicher Abläufe. Die Arbeit verweist auf das wesentliche epistemologische Begehren der neuzeitlichen Wissenschaften, auf die Mathematisierung der natürlichen Vorgänge mit dem Ziel der absoluten Erfassung der Welt. Das zentrale Motiv der Arbeit Fegerls ist das mathematische Zeichen für Unendlichkeit, die sogenannte Lemniskate „∞“. Einerseits verweist das Zeichen auf einen Bereich des Unbestimmten, des Grenzenlosen und Unvorstellbaren, auf „Unendlichkeit“, andererseits erhält es, wie jedes andere Zeichen auch, seine referenzielle Funktion gerade durch den Verweis auf ein realiter Abwesendes. Das Zeichen „∞“ ist jenseits seiner Symbolisierungsfunktion in Mathematik und Logik zudem längst zu einer kulturellen Chiffre geronnen, zu einem Träger poetischer bis eskapistischer Projektionen und Aufladungen. Dieses polyseme Zeichen wird nun zum Modell für ästhetische Variationen, für Variationen zeichenhafter Codierung der vermeintlich getrennten ontologischen Kategorien Raum und Zeit.

In Temporal Deflector, dem ersten installativen Teil des Gefüges Die unsichere Kurvenschar, inszeniert Fegerl ein „locochronometrisches“ System. Die Künstlerin gruppiert sechzig Magnetspulen kreisförmig um einen Kompass und steuert die Spulen intervallbasiert, sodass der Kompass erzwungenerweise zum Chronometer der linear-metrischen Zeitlichkeit, einer maschinell generierten „Unendlichkeit“ wird – monoton, getaktet, repetitiv. Raummessung (Verortung durch den Kompass) konvergiert und konvertiert in diesem metrischen Hybrid mit Zeitmessung. Die zwei in der klassischen Physik ontologisch getrennt gedachten Kategorien werden zu einem Raumzeitkontinuum verschränkt. Das „Locochronometer“ erzeugt hierbei eine „erzwungene Ewigkeit“ (so auch der Titel einer früheren Arbeit Fegerls), die die Künstlerin im zweiten Teil der Installation motivisch aufgreift und weiterbefragt.

In sine anima erzeugt Fegerl mechanisch ein künstliches Klangkontinuum von simpler ästhetischer Struktur. Ein motorbetriebener mechanischer Tongenerator versucht einen Sinuston von anhaltender Tonhöhe und Lautstärke, einen immergleichen, „unendlichen“ Ton zu erzeugen. Doch nicht allein die akustische Ebene der Arbeit ist von Bedeutung. Das ästhetische Ereignis Klang wird bei Fegerl seiner zeichenhaften Übersetzung gegenübergestellt: Die grafische Repräsentation des Sinustons, die Sinuswelle, bildet eine Hälfte des Unendlichkeitszeichens „∞“. Fegerl untersucht den Übergang von einem Medium ins andere, von der Zeichenhaftigkeit ins Objekthafte und umgekehrt. Sie fragt nach der Medialität im Prozess der Wahrnehmung, wobei Medialität nicht als Distanzierung und Dissoziation von einer authentisch erfahrbaren Wirklichkeit verstanden wird, sondern vielmehr als „Mediosphäre“, als „Inszenierungsbühne“ (2). Wahrnehmung und Medium gehören darin untrennbar zusammen, Medialisierung erst ermöglicht das Reflexivwerden der Wahrnehmung und in der Folge die Frage nach dem Beobachterstandpunkt.

In der dritten Arbeit verdichtet Fegerl den Prozess der intermedialen Übertragung schließlich zu einem skulpturalen Werk, indem sie das Unendlichkeitszeichen als Fellobjekt Lemniscate protuberantia modelliert. Das auf diese Weise in die dritte Dimension überführte Zeichen für Unendlichkeit zeigt sich nun als halb Objekt, halb Wesen. Das Fellobjekt lässt an einen weißen Hasen denken, ein Wesen, das in Alice im Wunderland zwischen unterschiedlichen Realitätsebenen wechseln kann. Es vermag die konventionalisierten Raum- und Zeitordnungen außer Kraft zu setzen, Räume und Zeiten sowie imaginäre und reale Ebenen zu verbinden und ineinander überzuführen.

Man könnte die Praxis Fegerls durchaus als transmediale Durchführung eines Motivs verstehen. Abstrakte Zeichen werden ins Räumlich-Materielle transkribiert, Akustisches in Grafisches und umgekehrt, wobei der Prozess der Transkriptionen sich fortschreibt in einem „asynchronous circuit“, d.h. nicht gerichtet, keiner kausalen, keiner „getakteten“ Logik folgend. Vielmehr führt eine Arbeit zur anderen, stets erscheint eine Arbeit als impliziter Teil einer anderen. Fegerl verknüpft, der Figur des Hasen in seiner vermittelnden und übersetzenden Fähigkeit nicht unähnlich, unterschiedliche mediale und semiotische Ebenen. Weder ist das Fellobjekt realer als das Zeichen, das ihm in seinem Entwurf vorangeht, noch umgekehrt.       

Barnaby Hosking konfrontiert den Betrachter in seiner Videoinstallation Black Flood mit einer Zone ästhetischer Unbestimmtheit. Das Video zeigt eine Seelandschaft bei Dunkelheit. Man sieht sich der Bewegung der Wellen bei gleichzeitig langsamem, sukzessiven Ansteigen des Wasserspiegels gegenüber. Dieses „bedrohliche“ Szenario hat den Charakter einer durch vage visuelle Ereignisse ausgelösten Ahnung. Hosking initiiert ein mehr imaginatives denn perzeptives Sehen, ist der Betrachter doch unwillkürlich versucht, in die Dunkelheit dieser Licht-Projektion – eigentlich eine Nahaufnahme von Wasser mit Ölfilm in einem Aquarium – eine Landschaft „hineinzusehen“. In diesem Unterfangen wird der Betrachter zum Beobachter des eigenen Sehens mit all seinen Ungewissheiten. Hosking zitiert das Naturschöne in Form des Topos der Landschaft herbei, um die mit ihm verbundenen Vorstellungen von Authentizität und unmittelbarer Erfahrbarkeit zu dekonstruieren.

Als Projektionsfläche dient ein kinoleinwandgroßer, ausgezogener Teil einer Rolle schwarzen Teppichs, somit ein Material, das mehr Licht absorbiert als reflektiert, das Dunkelheit geradezu erzeugt. Indem dem schwarzen Teppich die Rolle der Kinoleinwand übertragen wird, werden Absorption und Reflexion, Dunkelheit und Sichtbarkeit in ein Verhältnis zueinander gebracht, das die Konnotationen der Begriffe „Licht“ und „Dunkelheit“ moduliert. Jenseits dichotomischer Gegenüberstellungen wird hier Dunkelheit in ihrem stets dialektischen Verhältnis zu Licht inszeniert. Diese Untersuchung der Wechselwirkung von Sehen und Nichtsehen, Wissen und Unbestimmtheit lässt Dunkelheit nicht als das defizitäre Gegenteil des für Erkenntnis, Klarheit, Wissen stehenden Lichts erscheinen: Indem das vermeintliche Nichtsehen das Sehen auf sich selbst verweist und die rekursive Wahrnehmungsschleife, die dieses teilinvertierte Lichtspiel-Szenario generiert, den immersiven Effekt des Kinos umkehrt, wird hier Dunkelheit als Möglichkeitsraum erfahrbar.

Auch in Claude Mirror Sun 8 untersucht Hosking die Kontingenz visueller Wahrnehmung mit Referenz auf die Landschaftsdarstellung. Jedoch zielt diese Arbeit nicht auf Immersion. Beinahe im Miniaturformat findet sich Landschaft hier malerisch, als eines von drei Modulen vertreten. Der Betrachter sieht sich einer mit schwarzem Samt ausgelegten Kassette, deren Innenseite, einem Spiegel, und einem Landschaftsbild gegenüber. Die Teile der Arbeit sind von gleicher Größe und nebeneinander gereiht. Der erste Teil, die Kassette, verweist auf den Ausfall der Sichtbarkeit. Eingeschlossen in der Dunkelheit der Schachtel, vermag der Spiegel nichts zu reflektieren. Der tiefschwarze Samt, der den Spiegel vor Außeneinflüssen schützt, evoziert die Vorstellung absoluter Dunkelheit. Der zweite Teil der Arbeit, ein sogenannter Claude-Spiegel, der den Malern im 18. Jh. den Blick auf die Sonne ermöglichte, bildet die Umkehrfigur der kanonisierten Erkenntnis- und Lichtmetapher. Gerade die Reduktion und Brechung von Lichtstärke, die Verdunkelung ermöglicht den Blick ins Licht. Das dritte Modul konfrontiert den Betrachter mit einem Landschaftsbild, der Darstellung eines Himmels mit verdunkelter Sonne. Ein Bild also, das nur durch den Filter des Claude-Spiegels gesehen und gemalt werden konnte. Durch die formale Angleichung von Kassette, Spiegel und Bild erscheint das ontologische Verhältnis von Objekt, Medium und Abbild in diesem Triptychon enthierarchisiert.

Wahrnehmung erscheint in den ästhetisch-systemischen Kreisläufen von Hosking und Fegerl als ein Kontinuum der Interferenzen, das durch seine Kontingenz Resistenzen wie auch Resonanzen in Bezug auf das wahrgenommene Außen hervorbringt. Wahrnehmung richtet sich demnach nicht schlicht auf ein Außen im Sinne einer starren Subjekt-Objekt-Dichotomie. Medien oder genauer: Mediensystemen kommt durch ihre Rückkoppelungen auf die Wahrnehmung ein geradezu „realer“, da wirklichkeitskonstitutiver Status zu. Über seine perzeptionssteuernde Funktion bezieht das Medium nicht bloß eine die Wirklichkeit repräsentierende Rolle, sondern eine wirklichkeitskonstitutive Funktion im Sinne eines Dispositivs. Wahrnehmung, Bewusstsein und „Realität“ sind darin nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern konstituieren sich – von jeher – an ihrer Schnittstelle, denn an der „Grenze des Realen, welche das Wirkliche ist, erfährt die Bewegung der Beschreibung der Erkenntnis ihre radikale Nominalität. Je notwendiger ihre Bezeichnungen ihr gelten, um so erfolgreicher sie sich also wähnt, um so deutlicher wird, dass das Wirkliche sich jedem Abbild entzieht.“(3)

 

David Komary


(1)   Nelson Goodman, Weisen der Welterzeugung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1984.
(2)   Hans Ulrich Reck, Flügelschlag der Sehnsucht, Ein Versuch über das Ephemere und das Denken, in: Heute ist Morgen, Über die Zukunft von Erfahrung und Konstruktion, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2000, S. 185.
(3)   Ebd., S.181.